OLG Hamm, Urteil vom 3. September 2013 – 26 U 85/12 – MedR 2014, 309

220.000 € Schmerzensgeld

Vor der Durchführung einer Koloskopie ist der Patient auch über die selten auftretende Darmperforation konkret aufzuklären. Der Hinweis auf „unvermeidbare nachteilige Folgen“ wirkt demgegenüber in höchstem Maße verharmlosend. Bei einem komplikationsträchtigen Krankheitsverlauf mit intensivmedizinischer Langzeitbeatmung, mehreren erlittenen Dekubiti (Wundliegegeschwüren), Spitzfußstellung und künstlichem Darmausgang ist ein Schmerzensgeld von 220.000 € angemessen.

Fall:

Aufgrund einer Überweisung des Hausarztes des Klägers wegen Blutungen beim Stuhlgang ließ der Beklagte eine Koloskopie mit Polypabtragung durchführen. Infolge dieses Eingriffs kam es zu einer Darmperforation mit einer Entzündung des Bauchfells. Nach der Diagnose einer Darmperforation wurde der Kläger notfallmäßig operiert und mehrfach operativ sowie zeitweilig auch intensiv-medizinisch mit Langzeitbeatmung behandelt.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG sah im Gegensatz zum LG eine Verletzung der Aufklärungspflicht, sodass der Eingriff mangels wirksamer Einwilligung des Patienten rechtswidrig war. Vor der Durchführung einer Koloskopie ist der Patient auch über die selten auftretende Darmperforation konkret aufzuklären. Der Hinweis auf „unvermeidbare nachteilige Folgen“ wirkt demgegenüber in höchstem Maße verharmlosend.

Verletzung der Aufklärungs-pflicht vor Durchführung der Koloskopie

Dem Kläger wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 220.000 € zuerkannt. Dabei wurde insbesondere der komplikationsträchtige Krankheitsverlauf, der schließlich zu einer Frühberentung des Klägers geführt hatte, berücksichtigt. Der Kläger befand sich über 5 Monate ununterbrochen im Krankenhaus, davon etwa 10 Wochen intensivmedizinisch mit Langzeitbeatmung. Es mussten bei ihm während dieser Behandlungszeit insgesamt 19 Lavagen des Bauchinnenraums durchgeführt werden. Er erhielt 17 Transfusionen mit Erythrozyten-Konzentraten.

Es mussten eine Hauttransplantation im Bereich der Brustwirbelsäule und chirurgische Debridements der erlittenen Dekubiti sowie eine anschließende Behandlung mit Hydrokolloidverbänden an der rechten Ferse durchgeführt werden. Eine während des stationären Aufenthalts aufgetretene Spitzfußstellung musste mittels einer Peronaeusschiene behandelt werden. Zwölf Tage wurde der Kläger in die Kurzzeitpflege aufgenommen. Dort entwickelte sich nach einem septischen Schock eine ausgedehnte Bronchopneumonie, sodass der Kläger ca. drei Wochen wiederum im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt werden musste.

Anschließend befand sich der Kläger ca. drei Wochen in der Rehabilitation. Neben der Länge der Behandlungszeit war für die Höhe des Schmerzensgelds bestimmend, dass der Kläger nach wie vor erheblich beeinträchtigt ist. Er hat einen Grad der Behinderung von 100. Ihm ist die Pflegestufe I bewilligt worden. Der Kläger leidet unter einem deutlichen Gewichtsverlust und einer depressiven Entwicklung. Er hat einen künstlichen Darmausgang, der ihn stark einschränkt.