OLG Köln, Urteil vom 15. Juli 2015 – 5 U 202/08, juris (= VersR 2016, 191)

125.000 EUR Schmerzensgeld

1. Vor der Durchführung einer Umstellungsosteotomie hat der Arzt über die Folgen aufzuklären, zu denen eine Nervenverletzung im Operationsbereich führen kann, das heißt vor allem eine dauerhafte Lähmung mit einer Fußheber- und Fußsenkerschwäche.

2. Eine Überkorrektur eines Valguswinkels, die sich auf 19° beläuft, beruht auf einem Behandlungsfehler.

3. Kommt es bei einer Umstellungsosteotomie zu einer Gefäßschädigung, einer Schädigung des Nervus peronaeus mit der Folge einer Fußheber- und Fußsenkerschwäche und zu einer Überkorrektur der Beinachse, tritt im Anschluss an eine Revisionsoperation ein Knocheninfekt ein, folgen permanente Operationen, wird bei dem 42 Jahre alten Patienten aufgrund der Chronifizierung des Infekts eine distale Oberschenkelamputation durchgeführt und entsteht ein Schmerzsyndrom, so ist ein Schmerzensgeldbetrag von 125.000 EUR zuzüglich einer Schmerzensgeldrente von monatlich 500 EUR angemessen.

Fall:

Die am 1968 geborene Klägerin, die erstmals im Jahr 1995 an Schmerzen im rechten Knie litt, ließ am 13.02.2003 eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks durch den Beklagten zu 1) vornehmen. Wegen medial betonten Schmerzen und ausgeprägtem Verschleiß des Knorpels im Bereich des inneren Kniegelenks riet der Beklagte zu 1) zu einer Umstellungsosteotomie. Am 7.05.2003 unterzeichnete die Klägerin eine entsprechende Einwilligungserklärung. Am 12.05.2003 führte der Beklagte zu 1) im Krankenhaus der Beklagten zu 2) am rechten Schienbein eine valgisierende Umstellungsosteotomie durch.

Nach dem Eingriff wurden durchgetrennte Blutgefäße diagnostiziert

Nach dem Eingriff wurden die Durchtrennung mehrerer großer Blutgefäße, welche im Universitätsklinikum umgehend versorgt wurde, und die Schädigung des Nervus peronaeus festgestellt.

Die Kniebeschwerden der Klägerin besserten sich in der Folgezeit nicht. Am 13.02.2007 erfolgte in einem anderen Krankenhaus eine varisierende Reosteotomie, die der Beseitigung einer Überkorrektur diente. Im Januar 2008 trat im Operationsbereich ein Infekt auf, der zu mehreren Folgeeingriffen und schließlich im Januar 2010 zu einerdistalen Oberschenkelamputation führte.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG hielt wegen Aufklärungs- und Behandlungsfehlern einen einmaligen Schmerzensgeldbetrag von 125.000 EUR zuzüglich einer Schmerzensgeldrente von monatlich 500 EUR beginnend ab dem 01.02.2010 für angemessen.

Bei schweren Dauerschäden steht dem Verletzten – in der Regel neben dem Kapitalbetrag – eine Rente zu. Der Senat hat die monatliche Rentenzahlung ab dem 1.2.2010 beginnen lassen, weil der schwere Dauerschaden, der in der distalen Oberschenkelamputation liegt, im Januar 2010 endgültig eingetreten ist und der kapitalisierte Wert der Rente (für die Zeit der statistischen Lebenserwartung der Klägerin ab Anfang 2010) und der Einmalbetrag von 125.000 EUR etwa dem Schmerzensgeldbetrag von 230.000 EUR entsprechen, den der Senat bei ausschließlicher Zubilligung eines Einmalbetrags als angemessen angesehen hätte.

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigungen bieten, die nicht vermögensrechtlicher Natur sind. In erster Linie bilden die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer sowie das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Lebensführung im privaten und beruflichen Bereich die wesentliche Grundlage für die Bemessung der Entschädigung.

Zahlreiche Beweise für die Bemessung des Schmerzensgeldes von 125.000 €

Die für die Schmerzensgeldbemessung wesentlichen Umstände sind entweder unstreitig, durch ärztliche Unterlagen so belegt, dass der Senat sie für bewiesen hält, oder sie liegen angesichts der offensichtlichen Auswirkungen einer Unterschenkelamputation auf die Lebensführung auf der Hand. Dabei kommt der Klägerin, soweit es sich um Sekundärschäden des Eingriffs und der fehlerhaften Überkorrektur der Beinachse handelt, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Gute.

Für die Bemessung des Schmerzensgeldes waren vor allem von Bedeutung:

– die Gefäßschädigung während der Ausgangsoperation und die sich unmittelbar anschließende gefäßchirurgische Folgeoperation im Universitätsklinikum C,

– die Schädigung des Nervus peronaeus während der Ausgangsoperation mit der vom Sachverständigen bestätigten Folge einer Fußheberschwäche (Lgrad 0 bis 1/5) und Fußsenkerschwäche (Lgrad 3 bis 4/5), die sich bis zu der Oberschenkelamputation im Januar 2010 ausgewirkt haben,

– die Überkorrektur der Beinachse (X-Beinstellung) bei der Ausgangsoperation, die zu den im Zeitraum bis zum Auftreten der Knocheninfektion (Januar 2008) bestehenden Schmerzen beigetragen hat,

– die der Beseitigung der Überkorrektur dienende Revisionsoperation vom 13.02.2007,

– das Auftreten einer chronischen Osteomyelitis ab Januar 2008,

– etwa 20 der Beherrschung und Behandlung des Knocheninfekts dienende Operationen zwischen dem Eingriff vom 11.01.2008, bei dem die eingesetzte Platte entfernt wurde, und der Operation vom 5.01.2010; die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.9.2009 genannte Zahl von 21 Eingriffen am Bein bis zu diesem Zeitpunkt wird durch die bei den Akten befindlichen Behandlungsunterlagen zwar nicht in vollem Umfang belegt, die hohe Zahl von Operationen wird aber durch die Operationsberichte und die in ihnen jeweils beschriebene Vorgeschichte bestätigt,

– die distale Oberschenkelamputation am 21.01.2010,

– das sich nach der Amputation entwickelnde chronische Schmerzsyndrom mit neuropathischen Stumpfschmerzen,

– nach der Amputation ein tiefer Erschöpfungszustand und Depressionen,

– die Revision des Oberschenkelstumpfes am 19.07.2013 mit der Entfernung der Neurome,

– eine danach eintretende Abmilderung der Schmerzsituation und Besserung der psychischen Verfassung,

– die Nichtversorgung des Oberschenkelstumpfes mit einer Prothese zumindest bis zur letzten mündlichen Verhandlung vom 04.05.2015; die hinter den Beklagten stehende Haftpflichtversicherung hat sich unstreitig Anfang 2015 zur Übernahme der Kosten einer Reha-Maßnahme zur Anpassung einer Beinprothese bereit erklärt.

Leidensweg wirkte sich auf sämtliche Lebensbereiche aus

Die vorstehende Aufstellung zeigt, dass die Klägerin vor allem in der Zeit von 2008 bis 2013 einen schwersten Leidensweg hinter sich gebracht hat, mit einem chronischen Knocheninfekt, permanenten Operationen, schließlich der Amputation im Oberschenkel und der Entstehung eines Schmerzsyndroms. Einen Beruf konnte die Klägerin nicht mehr ausüben. Genauso liegt es auf der Hand, dass die Klägerin sozialen Kontakten kaum mehr nachgehen konnte und dass ihr Familienleben äußerst belastet war. Angesichts des Alters der Klägerin sind die zukünftigen Folgen, für die die Beklagten einzustehen haben, von erheblicher Dauer. Bei Durchführung der Amputation im Jahr 2010 war die Klägerin erst 42 Jahre alt.

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