Fall:
Der Kläger nahm die Beklagten wegen des Vorwurfs einer fehlerhaften Geburtsleitung u. a. auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch. Er wurde am 2013 in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen St. A-Hospital in B entbunden. Die Beklagte zu 3) war die geburtsbegleitende Ärztin. Der Kläger erlitt während der Geburt einen hypoxischen Hirnschaden. Er ist geistig und körperlich schwerbehindert und lebenslang auf Hilfe und Pflege angewiesen. Er wird wegen einer Schluck- und Ernährungsstörung durch eine PEG-Sonde versorgt. Speichel und anfallendes Sekret müssen regelmäßig abgesaugt werden.
Es besteht eine hochgradige Sehstörung in Form einer so genannten „zentralen Blindheit“. Dies bedeutet, dass visuelle Reize von den Augen zwar wahrgenommen, vom Gehirn aber nicht adäquat verarbeitet werden. Es liegt eine schwere globale Entwicklungsstörung und eine Pflegebedürftigkeit in maximaler Ausprägung rund um die Uhr vor. Der Kläger verfügt über keinerlei Alltagskompetenzen. Sein motorischer Entwicklungsstand ist stark zurückgeblieben. Es besteht eine ausgeprägte Rumpfhypotonie bei gleichzeitiger Hypertonie der Extremitäten im Rahmen seiner vorwiegend distalen Cerebralparese. Eine freie Fortbewegung aus eigener Kraft ist ihm nicht möglich. Der Kläger wird zeitlebens auf den Rollstuhl angewiesen sein.
Rechtliche Beurteilung:
Der Kläger hatte nach Auffassung des OLG einen Anspruch auf Schmerzensgeld in einem Umfang von insgesamt 500.000 €:
Dem Kläger steht wegen bei der Geburt begangener grober ärztlicher Behandlungsfehler ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen die Beklagten zu 1) und 3) zu.
OLG sieht Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 € als gerechtfertigt
Das angefochtene Urteil des Landgerichts bedarf jedoch insoweit einer Abänderung, als nach Auffassung des Senates ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 € zu erkennen ist.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Höhe des zuzuerkennenden Schmerzensgeldes in erster Linie von Umfang und Auswirkungen der Gesundheitsschäden abhängt und dass der Tatrichter gehalten ist, sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes an vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte zu orientieren, hat das Landgericht den Versuch unternommen, die Gesundheitsschäden des Klägers, seine geistige und körperliche Behinderung in ihrer Ausprägung mit anderen Geburtsschadenfällen, in denen Schmerzensgelder durch Gerichte zuerkannt worden sind, zu vergleichen.
Die Kammer hat dabei unter anderem auf eine Entscheidung des Senates aus dem Jahr 2006 verwiesen (OLG Köln, Urteil vom 20.12.2006, 5 U 130/01), in der einem infolge einer hypoxischen Hirnschädigung schwerstbehinderten Jungen ein Schmerzensgeld von 500.000 € zuerkannt wurde. Die Kammer hat die Auffassung vertreten, im vorliegenden Fall müsse Berücksichtigung finden, dass – im Gegensatz zu dem seinerzeit entschiedenen Fall – bei dem Kläger keine Tetraspastik und keine Epilepsie vorliege. Sie hat dies zum Anlass genommen, ein um 50.000 € geringeres Schmerzensgeld zuzuerkennen.
Orientierung an einzelnen Ausprägungen der Behinderung nicht gerechtfertigt
Eine solche, an den einzelnen Ausprägungen der Behinderung eines schwer geburtsgeschädigten Kindes orientierte Schmerzensgeldbemessung, ist jedoch nicht gerechtfertigt. In einem Geburtsschadensfall, bei dem ein Mensch von Beginn seines Lebens in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten maximal beeinträchtigt ist und voraussichtlich immer bleiben wird, ist es nicht angezeigt, zwischen einzelnen gesundheitlichen Einschränkungen näher zu differenzieren.
Das Schmerzensgeld ist nicht durch das Aufaddieren einzelner Gesundheitsbeeinträchtigungen zu bemessen, sondern es kommt vor Allem auf die Folgen des Gesundheitsschadens in seiner gesamten Ausprägung an. Dabei ist die schadensbedingte Einschränkung der Fähigkeit, die eigene Person und seine Umwelt zu erleben und ein aktives, selbstbestimmtes Leben zu führen, besonders in den Blick zu nehmen. Diese Fähigkeiten, die jedem gesunden Menschen von Natur aus gegeben sind, sind beim Kläger maximal eingeschränkt.
500.000 € Schmerzensgeld als Obergrenze
Ein höheres Schmerzensgeld kann der Kläger indes nicht verlangen. Den Betrag von 500.000 € versteht der Senat als Obergrenze für Fälle besonders schwerer Gesundheitsschäden. Eine Anhebung dieses Betrages ist für die Zukunft grundsätzlich denkbar, derzeit aber nicht geboten.
Entgegen den Ausführungen des Klägers hat der Senat in seiner Entscheidung vom 10.12.2014 (OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 10.12.2014, 5 U 75/14, juris) kein Schmerzensgeld in Höhe von 600.000 € zuzüglich einer monatlichen Rente in Höhe von 550 € zuerkannt. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte der Senat über die Berufung der klagenden Partei gegen ein Urteil des Landgerichts zu entscheiden, in dem auf ein Schmerzensgeld von 450.000 € sowie eine monatliche Rente von 550 € erkannt worden war.
Der Senat wies seinerzeit darauf hin, dass sich das durch das Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld unter Berücksichtigung einer Kapitalisierung der Schmerzensgeldrente insgesamt auf gut 600.000 € belaufe und es sich dabei um einen der höchsten Schmerzensgeldbeträge handele, der in Deutschland jemals rechtskräftig ausgeurteilt worden sei und dass eine Erhöhung des Betrages nicht in Betracht komme. Da die beklagte Partei keine Berufung eingelegt hatte, musste der Senat über die Frage, ob das zuerkannte Schmerzensgeld der Höhe nach zu reduzieren war, nicht entscheiden.
Regulierungsverhalten des Haftpflichtversicherers angemessen
Nicht gefolgt werden kann dem Kläger in seiner Argumentation, das vorgerichtliche Regulierungsverhalten des Haftpflichtversicherers der Beklagten gebiete eine empfindliche Erhöhung des zuerkannten Schmerzensgeldes. Eine Haftung der Beklagten stand vor dem Prozess keinesfalls fest. Die Klage hat letztlich deswegen Erfolg gehabt, weil die Kammer nach sachverständiger Beratung in der Gesamtschau mehrerer Behandlungsfehler einen groben Behandlungsfehler und damit eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Schadenskausalität angenommen hat.
Der Ausgang des Prozesses zum Haftungsgrund war keinesfalls vorauszusehen. Im Übrigen könnte es dem Haftpflichtversicherer auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er – was nicht feststeht – eine Haftung ohne eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage abgelehnt und den Kläger auf den Klageweg verwiesen hätte. Ein Haftpflichtversicherer, der in einem Geburtsschadenfall mit beträchtlichen Haftungsrisiken eine gerichtliche Klärung zweifelhafter tatsächlicher und rechtlicher Fragen anstrebt, nimmt berechtigte Interessen wahr. Schließlich muss den Beklagten auch zugutegehalten werden, dass sie die vorgerichtliche Korrespondenz mit den anwaltlichen Vertretern des Klägers zügig geführt und gegen das Urteil keine Berufung eingelegt haben.