OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. Dezember 2014 – 8 U 50/14
50.000 € Schmerzensgeld
Eigener Leitsatz:
1. Der gänzliche Verlust der Kohabitationsfähigkeit eines Mannes kann einen
(eigenen) Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € rechtfertigen.
2. Die von einem Dritten zu verantwortende Unmöglichkeit, aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen des Ehepartners mit diesem Geschlechtsverkehr auszuüben,stellt keine Einschränkung der freien Selbstbestimmung der eigenen Sexualität der Ehepartnerin dar.
Fall:
Der 1955 geborene und mit der Klägerin verheiratete Kläger wurde in der Klinik der Beklagten zu 1 wegen einer Induratio Penis Plastica mit einer Abknickung des Penis nach links oben im Jahr 2008 operiert. Leitsymptom der Induratio Penis Plastica (IPP) ist eine Entzündung unbekannter Ursache zwischen der Tunica und den oberen Schichten der Penisschwellkörper, die, sollte keine Spontanheilung eingetreten sein, in einem gutartigen Tumor endet, einer tastbaren – als Plaque bezeichneten – Verhärtung im Penis, die im erigierten Zustand eine Einziehung (Induration) des Penis mit dessen Verkrümmung bewirkt. Nach einer mikrochirurgischen Abtrennung des Gefäß- und Nervenbündels erfolgte die Behandlung der Plaques mit einer keilförmigen
Excision von Schwellkörpergewebe. Zusätzlich wurden die Schwellkörper seitlich durch Abschaben des verhärteten Gewebes ausgedünnt. Die Deckung des entstandenen Defektes erfolgte unter anderem durch das Einnähen von zwei Tabotamp-Streifen. Wegen der postoperativen Entwicklung einer Phimose mit Penisverkürzung unterzog sich der Kläger in der urologischen Klinik eines Universitätsklinikums wenig später einer radikalen Circumcision (männliche Beschneidung) mit der Lösung von Adhäsionen und – nach dem erfolglosen Einsatz eines der Penisverlängerung dienenden Vakuum-Streckapparates – 2010 einer mikrochirurgischen Plaqueresektion.
Die Kläger machten wegen der Folgen des von dem Beklagten zu 2 durchgeführtenersten Eingriffs Ersatzansprüche geltend. Sie haben behauptet, der Kläger sei weder über den erforderlichen Umfang der Operation noch über das Risiko einer Penisverkürzungund die Möglichkeit eines – jetzt eingetretenen – gänzlichen Verlustes der Kohabitationsfähigkeit aufgeklärt worden. Weil es sich um einen nur elektiven Eingriff gehandelt habe, hätte er das bisher erfüllte Sexualleben mit seiner Ehefrau nicht aufs Spiel gesetzt und sich dem Eingriff nicht unterzogen. Besonders beeinträchtigendsei, dass der Eingriff zum vollständigen Verlust der Kohabitationsfähigkeit geführt habe. Das zuvor rege Sexualleben der Kläger sei nahezu vollständig zum Erliegen gekommen; hierdurch hätten sich massive psychische Schäden bei den Klägern ergeben.
Ehepartnerin verlangte Schmerzensgeld wegen Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch ihr stünden Ersatzansprüche zu, weil sie in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages mit einbezogen und durch die Schädigung ihres Ehemannes in ihren eigenen Rechten betroffen sei. Weil ihrEhemann zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs nicht mehr in der Lage sei, gebe es (auch) für sie kein normales Sexualleben mehr, was eine Verletzung ihres Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung bedeute.
Rechtliche Beurteilung:
Das OLG erachtete das vom Landgericht in Höhe von 50.000 € zuerkannte Schmerzensgeld für angemessen und ausreichend:
Eine höhere Entschädigung sei nicht gerechtfertigt. Der zuerkannte Schmerzens-geldbetrag trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Kläger mangels wirksamer Einwilligung einem rechtswidrigen operativen Eingriff unterzogen hat, der weitere Operationen erforderlich machte und der zu einer Penisverkürzung geführt hat, welche die in seiner Ehe bislang mögliche Ausübung des Geschlechtsverkehrs nicht mehr gestattet. Das zuerkannte Schmerzensgeld berücksichtigt ferner, dass es bei dem Kläger infolge der von dem Beklagten zu 2 durchgeführten Operation zu weiteren Beeinträchtigungen in der täglichen Lebensführung – Probleme beim Wasserlassen, Schmerzen – gekommen ist. Berücksichtigt wird auch die aufgrund dieser Entwicklung nicht nur körperliche, sondern insbesondere wegen der Einschränkung des ehelichen Lebens auch psychische Belastung des Klägers. Unter Abwägung dieser Gesamtumstände und der vergleichbaren Betrachtung anderer Schadenfälle hält der Senat den Entschädigungsbetrag von insgesamt 50.000 € zum Ausgleich der immateriellen Schäden für angemessen, aber auch ausreichend.
Die Klage der Klägerin, die wegen des infolge der Kohabitationsunfähigkeit ihres Ehemannes eingetretenen Verlustes eines erfüllten Sexuallebens aus eigenem Recht Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 45.000 € verlangte, hielt das OLG jedoch für unbegründet:
Der Klägerin stehen Schadenersatzansprüche gegenüber den Beklagten nicht zu.
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Klägerin in den Schutzbereich des mit ihrem Ehemann geschlossenen Behandlungsvertrages einbezogen worden ist. Ein – auch vertraglich begründeter –Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld setzt nach § 253 Abs. 2 BGB die Verletzung eines absoluten Rechtsgutes wie Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung voraus. Eine solche Verletzung ist im Falle der Klägerin nicht anzunehmen. Das Vorliegen etwaiger psychischer Beeinträchtigungen von Krankheitswert infolge der Gesundheitsschädigung ihres Ehemannes macht die Klägerin selbst nicht mehr geltend; sie räumt ferner ein, dass es bei ihr – trotz der Unmöglichkeit, mit ihrem Ehemann den Geschlechtsverkehr zu vollziehen – auch nicht zu einer körperlichen Schädigung gekommen ist. Soweit sie sich auf eine Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung beruft, vermag dieser Gesichtspunkt die geltend gemachten Ansprüche nicht zu begründen. Sexuelle Selbstbestimmung bedeutet, dass jeder das Recht hat, über seine Sexualität frei zu bestimmen. Die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung kommt zum Ausdruck in den Strafvorschriften der §§ 174 ff. StGB, die neben dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen das Abwehrrecht des Einzelnen schützen, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden. Auch wenn sich die Klägerin infolge ihrer ehelichen Treuepflicht und der Unfähigkeit ihres Ehemannes, den Geschlechtsverkehr durchzuführen, an der Ausübung eines erfüllten Sexuallebens gehindert sieht, bedeutet dies keine Verletzung ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts. Dieses Recht wird nicht bereits dadurch eingeschränkt, dass bestimmte sexuelle Aktivitäten mit dem Ehepartner aufgrund tatsächlicher Umstände objektiv nicht mehr möglich sind. Die (auch) von einem Dritten zu verantwortende Unmöglichkeit, aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen des Ehepartners mit diesem Geschlechtsverkehr auszuüben, stellt deshalb keine Einschränkung der freien Selbstbestimmung der eigenen Sexualität dar.
Anmerkung: Möglicherweise wäre die Klage der Ehepartnerin erfolgreich gewesen, wenn sie einen (eigenen) psychischen Schaden mit Krankheitswert nachgewiesen hätte (entsprechend der Rechtsprechung zu Schockschäden durch die Nachricht vom Tod oder der schweren Verletzung eines nahen Angehörigen). Dann wäre das Gesamtschmerzensgeld für beide Ehepartner möglicherweise viel höher gewesen. Dabei spielen allerdings auch Gesichtspunkte wie der Schutzbereich des mit ihrem Ehemann geschlossenen Behandlungsvertrages bzw. der Zurechnungszusammenhang eine Rolle.