OLG München, Urteil vom 18. März 2015 – 20 U 3360/14 – juris
375.000 € Schmerzensgeld, 500 € monatliche Schmerzensgeldrente und 73.930,15 € Schadensersatz
Bei der durch den missglückten Salto auf einem Hüpfkissen in einer Freizeitanlage erlittenen irreversiblen Querschnittslähmung können unter Berücksichtigung eines äußerst zögerlichen Regulierungsverhaltens des Schädigers auch bei einem Mitverschulden des Geschädigten von 25 % ein Schmerzensgeld in Höhe von 375.000 € und eine lebenslange monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 500 € angemessen sein.
Fall:
Irreversible Querschnittslähmung nach Unfall
Der Kläger machte gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Unfall in der von der Beklagten betriebenen Freizeitanlage geltend. Der damals 16-jährige Kläger besuchte mit seiner Mutter und Freunden das Badefreigelände der Beklagten. Bei dem Versuch, auf einem (feuchten) luftunterstützten Hüpfkissen einen Salto rückwärts zu springen, rutschte der Kläger aus und schlug auf den Nackenbereich auf. Dadurch erlitt er eine Bogenfraktur des Halswirbels C 6 mit der Folge einer Querschnittlähmung vom 6. Halswirbel abwärts.
Das Landgericht hat die Beklagte zu Schadensersatz wegen der materiellen Schäden in Höhe von 73.930,15 € verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 375.000 € und eine Schmerzensgeldrente in Höhe von 500 € pro Monat zugesprochen sowie die beantragte Feststellung der Schadensersatzverpflichtung ausgesprochen. Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis.
Rechtliche Beurteilung:
Das OLG ging – ebenso wie das LG – von einer Verletzung der vertraglichen und deliktischen Verkehrssicherungspflicht des Beklagten aus, weil der Betreiber einer Freizeitanlage keine eindeutigen Warnschilder für die Benutzung des Hüpfkissens aufgestellt hatte, auf denen insbesondere auf die Möglichkeit schwerer bzw. lebensgefährlicher Verletzungen bei Sprüngen einer bestimmten Art hingewiesen wurde. Nach den Produktinformationen des Herstellers waren Saltosprünge verboten.
Die Berufung der Beklagten hatte zwar insoweit Erfolg, als das OLG ein Mitverschulden des Beklagten, der als Mitglied eines Sportvereins sportliche Erfahrung mit Saltosprüngen und daher – insbesondere wegen der vorhandenen Nässe auf dem Hüpfkissen – eine Vorstellung von den mit einem solchen Sprung verbundenen Risiken hatte, in Höhe einer Quote von 25 % als gegeben ansah.
Die klägerische Anschlussberufung hatte jedoch ebenfalls teilweise Erfolg, sodass das festgestellte Mitverschulden nicht zur Reduzierung der Entschädigung für immaterielle Schäden gemäß § 253 Abs. 2 BGB führte.
375.000 € Schmerzensgeld, 500 € monatliche Schmerzens-geldrente und 73.930,15 € Schadensersatz
Zunächst stimmte das OLG mit dem Landgericht dahin gehend überein, dass neben dem Schmerzensgeldkapital hier auch eine Schmerzensgeldrente zuzusprechen war. Bei schweren Dauerschäden – wie hier der irreversiblen Querschnittslähmung – steht dem Verletzten neben dem Kapitalbetrag grundsätzlich eine Rente zu. Der vom Landgericht insgesamt zugesprochene Entschädigungsbetrag in Höhe von insgesamt 511.680 €, zusammengesetzt aus einer Einmalzahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 375.000 € und einer kapitalisierten Rente in Höhe von 136.680 €, war nach Auffassung des OLG auch unter Berücksichtigung des festgestellten Mitverschuldens als weiteres Bemessungselement angemessen.
Bei der Bemessung der Höhe der „billigen Entschädigung“ nach § 253 Abs. 2 BGB ist das Mitverschulden des Verletzten nicht etwa in der Weise zu berücksichtigen, dass zunächst ein Entschädigungsbetrag ermittelt wird, wie er ohne das Mitverschulden des Verletzten angemessen wäre, und sodann eine der Mitverschuldensquote entsprechende Kürzung erfolgt. Vielmehr stellt das Mitverschulden bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes lediglich ein weiteres Bemessungselement neben anderen dar, wobei sich die einzelnen Bemessungselemente je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles unterschiedlich auswirken können. Deren Gewichtung ist wesentlich Sache des Tatrichters.
Das LG berücksichtigte bei seiner im Übrigen zutreffenden Beurteilung ein weiteres Bemessungselement, nämlich das äußerst zögerliche Regulierungsverhalten der Beklagten, das dem Kläger zugutekommen musste, was die Berücksichtigung seines Mitverschuldens in der Gesamtbetrachtung egalisierte.
Ein zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten wirkt nach wohl herrschender Meinung schmerzensgelderhöhend, sofern es sich um ein vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares Verhalten handelt, welches in einem prozessualen Verhalten bestehen kann, das über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht und den Geschädigten über Gebühr belastet. Ein über viele Jahre währendes Leugnen der Verantwortung durch den Schädiger kann hierfür ebenso ausreichend sein wie die Zahlung eines nur „lächerlich geringen Betrages“.
Die Beklagte hatte zunächst vorprozessual und während des gesamten Prozesses über beide Instanzen jegliche Einstandspflicht abgestritten und dem Kläger selbst die alleinige Verantwortung an seinem Unfall zugewiesen. Dies wurde auch aufrechterhalten, nachdem durch die mit der Klage vorgelegten Produktinformationen klar war, dass das Hüpfkissen für Saltosprünge völlig ungeeignet war und hiervor hätte gewarnt werden müssen. Auch nachdem das vom Gericht erholte Sachverständigengutachten den vom Kläger geschilderten Unfallhergang – nämlich einen fehlgeschlagenen Rückwärtssalto – und dessen Verletzungsfolgen bestätigt hatte, blieb die Beklagte dabei, dass sie keinerlei, auch keine Mitverantwortlichkeit an dem Unfall treffe. Dieses Beharren war deshalb nicht mehr nachvollziehbar. Erstmals und einmalig viereinhalb Jahre nach dem Unfall bezahlte die Beklagte 20.000 € an den Kläger, dessen allein schon materieller Schaden diesen Betrag um ein Vielfaches überstieg. Dies musste der Kläger als Almosen empfinden. Nachvollziehbar hatte er hierunter und insbesondere auch unter der langen Verfahrensdauer mit der ständigen Zuweisung der Alleinverantwortung für seinen Unfall gelitten. Dies hat das OLG schmerzensgelderhöhend gewertet.
