
Welcher Patientenanwalt kennt die Situation nicht: Beim ersten Gespräch beschreibt der Mandant einen vermeintlich eindeutigen Behandlungsfehler, der zu gravierenden gesundheitlichen Folgen und damit auch zu einem erheblichen Schaden geführt hat. Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches scheint in diesem Fall nur Formsache. Was sich beim ersten Gespräch oft als so einfach und klar darstellt, entpuppt sich im weiteren Verlauf jedoch als weitaus schwieriger. Und so entwickelt sich der Fall auf einmal von der „schnellen Nummer“ zu einem Verfahren, das schlimmstenfalls mehrere Jahre andauern kann. Aber woran liegt das?
Liegt es am uneinsichtigen Haftpflichtversicherer mit seiner Verzögerungstaktik und der fehlenden Bereitschaft, den Fall angemessen abzufinden?
Die Antwort ist wie so oft weder einfach noch eindeutig und kann aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster Einflussfaktoren niemals vollständig und abschließend sein.
Sehr zeitaufwändige Ermittlung des Haftungsgrundes
Die Ermittlung des Haftungsgrundes ist in Arzthaftungsfällen regelmäßig für beide Seiten sehr zeitaufwändig. Zunächst muss der Patientenvertreter die Behandlungsunterlagen bei unterschiedlichen Stellen beschafften, was mehrere Wochen dauert. Werden die Behandlungsunterlagen dann durch einen Gutachter überprüft, nimmt das wieder mehrere Monate Zeit in Anspruch. So können bis zur Anspruchsanmeldung beim Haftpflichtversicherer bereits mehrere Monate ins Land gegangen sein.
Ist die Anspruchsanmeldung beim Haftpflichtversicherer angekommen, erfolgt auch dort eine Prüfung der angemeldeten Ansprüche. Diese sieht üblicherweise einen Abstimmungsprozess zwischen Behandler, Haftpflichtversicherer und dem Versicherungsmakler des Behandlers vor. In einigen Fällen lässt sich der Haftpflichtversicherer ebenfalls nochmals medizinisch beraten. Dieser Abstimmungsprozess dauert nicht selten mehrere Monate.
Die Bearbeitungsdauer variiert nicht nur von Haftpflichtversicherer zu Haftpflichtversicherer, sondern auch von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter.
Will man nicht direkt den Weg in die Klage wählen, beschränken sich die Möglichkeiten des Patientenvertreters, diesen Abstimmungsprozess zu beschleunigen in der Regel auf regelmäßige schriftliche und/oder fernmündliche Sachstandsanfragen.
Erfreulicherweise gelingt es in den meisten Fällen (mit nur wenigen unrühmlichen Ausnahmen), den Haftpflichtversicherer dazu zu bewegen, seine Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Zeit abzugeben.
Dennoch wäre es wünschenswert, wenn Haftpflichtversicherer auch unaufgefordert eine Sachstandsanfrage transparent beantworten, proaktiv auf Bearbeitungsverzögerungen hinweisen und zugesagte Bearbeitungsfristen einhalten würden.
Die lange Laufzeit in Arzthaftungsfällen ist also weniger einer schleppenden Bearbeitung der Haftpflichtversicherer, als vielmehr zu großen Teilen der sehr aufwändigen Ermittlungsarbeit geschuldet, an der meist mehrere Stellen mitwirken.
Es gibt kaum eindeutige Arzthaftungsfälle
Häufig wird zudem der strittige medizinische Sachverhalt von den beratenden Medizinern unterschiedlich bewertet. Dies führt immer wieder zu erneuten Beratungsbedarf, wodurch weitere Zeit vergeht. Auch werden hierdurch die Regulierungsgespräche erschwert, da widerstreitende medizinische Einschätzungen in Einklang gebracht werden müssen. Oftmals sind die Widersprüche zwischen den medizinischen Einschätzungen des Falles so deutlich, dass eine Klärung nur mithilfe des Gerichts möglich ist.
Keine Regulierung trotz positiver Gutachten
Obwohl im Schlichtungsverfahren Behandlungsfehler festgestellt werden, kommt es vereinzelt vor, dass sich der Haftpflichtversicherer nicht an das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens gebunden fühlt. Das ist sehr bedauerlich, da damit auch der Sinn des Schlichtungsverfahrens, eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen Behandler und Patient herbeizuführen, unterlaufen wird.
Wünschenswert wäre es, wenn der Haftpflichtversicherer bei gut begründeten Gutachten regelmäßiger von seiner Regulierungshoheit Gebrauch machen würde und die Ansprüche nicht mit der Begründung zurückweist, sein Versicherungsnehmer bewerte den Fall nun einmal anders.
Ebenfalls ist eine Tendenz feststellbar, dass mit zunehmender Schadenshöhe auch der Wunsch des Haftpflichtversicherers wächst, den Fall verbindlich gerichtlich entscheiden zu lassen.
Schwierige Abgrenzung in der Kausalität
Erschwerend kommt hinzu, dass viele medizinische Stellungnahmen nicht so eindeutig formuliert sind, wie dies wünschenswert wäre. Dieser Umstand kommt besonders häufig bei der Frage der Kausalität zum Tragen. Zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs muss an dieser Stelle mit der für den Beweismaßstab notwendigen Wahrscheinlichkeit herausgearbeitet werden, welcher gesundheitliche Schaden durch den Behandlungsfehler verursacht wurde. Medizinischen Sachverständigen fällt die Beantwortung der Frage nach Abgrenzung besonders schwer: Sind die bestehenden gesundheitlichen Beschwerden der Grunderkrankung geschuldet und wären sie sowieso aufgetreten oder sind sie eindeutige Folge des Behandlungsfehlers?
Dieser Punkt ist bei den außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen besonders umstritten, da sich jede Seite auf die für sie günstigen Aspekte des Falles stützt. Bei Vergleichsverhandlungen fällt auf, dass an dieser Stelle die Beweisanforderungen des Haftpflichtversicherers überspannt werden und tatsächlich bestehende Beeinträchtigungen angezweifelt oder klein geredet werden.
Eine Ursache hierfür ist sicherlich, dass der Haftpflichtversicherer im Gegensatz zum Patientenvertreter meistens den Betroffenen nicht persönlich kennt. Es wäre zu begrüßen, wenn gerade in Fällen mit großem Schadenspotential, Haftpflichtversicherer den persönlichen Kontakt zum Betroffenen suchten, um sich ein persönliches Bild von dem Geschädigten und den Gegebenheiten vor Ort zu machen. Ein solcher Kontakt erleichtert die weiteren Regulierungsgespräche erheblich.
Gleiches gilt für persönliche Regulierungsverhandlungen zwischen Patientenvertreter und Haftpflichtversicherern. Sie tragen erheblich zur Beschleunigung der Regulierungsverhandlungen bei, da ein direkter Austausch stattfindet, was über einen Schriftwechsel kaum möglich ist. Viele Vertreter der Haftpflichtversicherer, machen von dieser Verhandlungspraxis auch regelmäßig Gebrauch, leider bei weitem noch nicht alle.
Fazit: Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherer besser als ihr Ruf
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass das Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherer besser ist als ihr Ruf. Die in Arzthaftungsfällen langen Laufzeiten und die mitunter als zu niedrig empfundenen Abfindungsbeträge sind u. a. dem erheblichen Ermittlungsaufwand und den schwierigen Abgrenzungsfragen geschuldet. Im Interesse der Betroffenen sollte allen Verfahrensbeteiligten daran gelegen sein, Arzthaftungsfälle in kürzeren Zeitfenstern angemessen zu regulieren. Dazu gehören von Seiten der Patientenvertreter nachvollziehbar aufbereitete und belegte Schriftsätze und von Seiten der Haftpflichtversicherer ein noch lösungsorientierteres Regulierungsverhalten.