OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Mai 2018 – 7 U 32/17, juris
§ 253 Abs. 2 BGB, § 280 Abs. 1 BGB, § 630a BGB, § 630h Abs. 5 S. 2 BGB, § 823 Abs. 1 BGB
70.000 Euro Schmerzensgeld
Das Unterlassen der Wiedereinbestellung eines Patienten zu einer medizinisch gebotenen weiteren Diagnostik kann nicht nur einen Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung, sondern auch ein Befunderhebungsfehler darstellen. Orientierungssatz
Erleidet eine Patientin, ein sechs Jahre altes Mädchen, infolge einer (bei einer Behandlung im Jahre 2013) nicht erkannten septischen Coxitis eine dezentrierte Hüftkopfnekrose mit Chondrolyse des linken Hüftkopfes und ist dadurch in seiner Beweglichkeit erheblich eingeschränkt, so ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 Euro angemessen.
Fall:
Die gesetzlich durch ihre Eltern vertretene Klägerin machte mit ihrer Klage Ansprüche im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung durch die Beklagte zu 1 in der von dieser mit der Beklagten zu 2 gemeinsam betriebenen kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis geltend. Infolge einer – nicht rechtzeitig erkannten – septischen Coxitis entwickelte sich bei der zum Zeitpunkt der Behandlung erst sechs Jahre alten Klägerin eine dezentrierte Hüftkopfnekrose mit Chondrolyse des linken Hüftkopfes.
Rechtliche Beurteilung:
Die Klägerin hatte nach Auffassung des OLG aus vertraglicher Haftung gemäß §§ 630a, 280 Abs. 1 BGB bzw. unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB jeweils i.V.m. §§ 249, 253 Abs. 2, 426 BGB u.a. einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 70.000 €. Die Beklagte zu 2 haftet als Mitbetreiberin der Gemeinschaftspraxis vertraglich gemäß § 128 HGB analog. Die Klägerin erbrachte zur Überzeugung des OLG in der Berufung den ihr obliegenden Beweis eines sog. fiktiven groben Behandlungsfehlers, der Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten war, weil der Klägerin der Nachweis der Kausalität nicht gelang:
Befunderhebungsfehler
Der Beklagten zu 1 ist ein Befunderhebungsfehler bei der Behandlung der Klägerin am 07.10.2013 unterlaufen. Der Annahme eines solchen Fehlers steht hier nicht die sogenannte „Sperrwirkung“ eines Diagnosefehlers entgegen (vgl. BGH, NJW 2016, 1447 ff., Tz. 6, juris). Es liegt auch nicht lediglich ein Fehler bei der therapeutischen Aufklärung vor. Der Senat ist nach der ergänzenden Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte zu 1 gebotene Befunde nicht rechtzeitig erhoben hat und sich bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen müsste.
Der Beklagten zu 1 ist nicht lediglich ein Diagnosefehler unterlaufen.
Grundsätzlich ist das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten. Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind jedoch oft nicht Folge eines vorwerfbaren Versehens eines Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung vielfacher technischer Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen eingesetzt werden. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden.
Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt deshalb eine vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde voraus. Bei einer objektiv fehlerhaften Diagnose sind somit drei Gruppen zu unterscheiden. Es kann sich um einen nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum handeln, der keinerlei Haftung begründet. Dieser liegt vor, wenn ein Arzt – gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereichs – die gebotenen Befunde erhoben und vertretbar gedeutet hat. Ist die Diagnose dagegen nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler im Sinne eines einfachen Behandlungsfehlers vor. Ein grober Diagnosefehler ist gegeben, wenn die Diagnose nicht nur unvertretbar, sondern schlechterdings unverständlich ist.
Definition Diagnoseirrtum
Ein Diagnoseirrtum liegt danach vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift. Ein Befunderhebungsfehler ist dagegen in Abgrenzung zum Diagnoseirrtum gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wurde. Ein Diagnoseirrtum wird jedoch nicht bereits dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnosestellung noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären. Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen.
Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat – er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären, dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung.
Danach kann ein Befunderhebungsfehler insbesondere auch dann vorliegen, wenn mehrere Krankheitsbilder in Betracht kommen, so dass durch unterbliebene differentialdiagnostische Untersuchungsmaßnahmen weiterer Aufschluss gewonnen werden kann. Ferner kann sich nach einer Erstdiagnose ein Befunderhebungsfehler auch dann ergeben, wenn eine darauf gegründete Therapie keine Wirkung zeigt oder sich weitere Krankheitserscheinungen zeigen, die für die diagnostizierte Erkrankung untypisch sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier ein Befunderhebungsfehler vor. Denn die Beklagte zu 1 hat es sorgfaltswidrig unterlassen, hinreichend der Frage nachzugehen, ob bei der Klägerin die Differenzialdiagnose einer septischen Arthritis zu stellen war und die dann gebotenen Befunde rechtzeitig vollständig zu erheben bzw. die Einweisung in eine Klinik zur weiteren Befunderhebung zu veranlassen. Der Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend ausgeführt, dass bei aufgetretenem hohem Fieber um die 39°C und der Gabe von fiebersenkenden Mitteln wie Nurofen und dennoch bestehenden heftigen Ruheschmerzen eine kurzfristige Wiedervorstellung der Klägerin noch am Nachmittag des 07.10.2013 zur weiteren Befunderhebung und Abklärung, ob bei nicht hinreichend klarem Krankheitsbild die gegenüber dem Hüftschnupfen mögliche erheblich schwere Krankheit in Gestalt einer septischen Arthritis geboten war.
Einschätzung des Sachverständigen
Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, bei akuten Hüftschmerzen sei gegenüber der reaktiven Coxitis die septische Arthritis eine wichtige Differenzialdiagnose. Diese könne zu irreversiblen Gelenkschäden führen, bedürfe einer umgehenden Behandlung, trete aber im Vergleich zur reaktiven Coxitis deutlich seltener auf. Typische klinische Zeichen einer bakteriellen Arthritis seien ein üblicher Weise monoartikulärer Befall mit den klinischen Zeichen einer Schwellung, einer ausgeprägten Schmerzhaftigkeit und Überwärmung des Gelenkes, allgemeinem Krankheitsgefühl und hohem Fieber.
Das Vorliegen von Fieber mit einer Temperatur von mehr als 38,5°C habe einen hohen Vorhersagewert in der Abgrenzung der septischen Coxitis von einer reaktiven Coxitis. In der Labordiagnostik seien ein erhöhtes C-reaktives Protein sowie eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und erhöhte Zahlen weißer Blutkörperchen hilfreiche Parameter bei der Abgrenzung. Zum Anstieg des reaktiven Proteins komme es bei der bakteriellen Infektion aber erst nach ca. sechs bis zehn Stunden. Bei Vorliegen von klinischen Hinweisen auf eine septische Coxitis, insbesondere Fieber und starke Schmerzhaftigkeit des betroffenen Gelenkes, sei eine unmittelbare weitere Diagnostik notwendig. All dem ist die Beklagte zu 1 jedoch unstreitig nicht nachgekommen.
Aufklärungspflicht des Arztes
Insoweit handelt es sich nicht um einen Fehler bei der therapeutischen Aufklärung, sondern einen solchen bei der Befunderhebung.
Unterbleibt der gebotene Rat zu einer zweifelsfrei bzw. medizinisch gebotenen diagnostischen Maßnahme, ist das hierin liegende Unterlassen regelmäßig als Befunderhebungsfehler zu behandeln. Wenn der Patient dagegen zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotene Maßnahme einer weiteren Kontrolle informiert wird und dieser Aufforderung lediglich nicht nachkommt, liegt kein Befunderhebungsfehler vor.
Unterlässt es danach der Arzt, den Patienten über die Dringlichkeit der – ihm ansonsten zutreffend empfohlenen – medizinisch gebotenen Maßnahme zu informieren und ihn vor Gefahren zu warnen, die im Falle des Unterbleibens entstehen können, liegt ein – regelmäßig nicht als grober Behandlungsfehler zu qualifizierender – Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung (Sicherungsaufklärung) des Patienten vor. In diesen Fällen liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Fehlverhaltens regelmäßig nicht in einer unterlassenen Befunderhebung als solcher, sondern in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolges.
Hier hat die Beklagte zu 1 es indes nach dem oben Gesagten bereits unterlassen, die noch am Nachmittag des 07.10.2013 zur weiteren Diagnostik medizinisch gebotene Wiedervorstellung der Klägerin zu veranlassen. Damit liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung, sondern in der nicht rechtzeitigen Befunderhebung im Sinne einer Wiedereinbestellung der Klägerin noch auf den Nachmittag desselben Tages zur weiteren diagnostischen Abklärung. Zwar hat der Sachverständige auch beanstandet, dass die Aussage, man solle wiederkommen, wenn eine Verschlechterung auftrete, zu unpräzise sei. Man müsse Symptome, bei deren Auftreten eine Wiedervorstellung erfolgen solle, genauer benennen und dann darauf hinweisen, dass man wiederkommen solle, wenn die Schmerzen nicht nachlassen oder sich verschlimmern oder wenn Fieberschübe über 38,5°C auftreten.
Allerdings gelingt der beweispflichtigen Klägerin nicht unmittelbar der Nachweis der Kausalität. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen bleibt es sehr spekulativ, ob eine stationäre Einweisung am 07.10.2013 die Prognose verbessert hätte. Eine genaue Quantifizierung der Verschlechterung der Prognose bei der vorliegenden Behandlungsverzögerung von weniger als 24 Stunden sei nicht möglich.
Dennoch ist davon auszugehen, dass der Behandlungsfehler für die verzögerte Heilung einschließlich der aufgetretenen Hüftkopfnekrose und ihre Folgen kausal war, denn wegen eines sogenannten fiktiven groben Behandlungsfehlers obliegt es den Beklagten nachzuweisen, dass der eingetretene Gesundheitsschaden nicht auf dem Behandlungsfehler beruht.
Beweislastumkehr wird angewandt
Auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung kann gemäß dem hier anwendbaren § 630h Abs. 5 S. 2 BGB in der seit dem 26. Februar 2013 geltenden Fassung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen.
Als grober Behandlungsfehler ist dabei ein ärztliches Fehlverhalten anzusehen, das nicht etwa aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht „schlechterdings“ nicht unterlaufen darf. Es kommt also darauf an, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird oder sonst eindeutig gebotene Maßnahmen zur Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken unterlassen werden und besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können.
Diese Voraussetzungen einer Beweislastumkehr liegen vor.
Denn der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass zwar dann, wenn es sich um eine Coxitis gehandelt hätte, auch eine Besserung hätte eintreten können. Aus der für die Beurteilung der Kausalität maßgeblichen ex-post-Sicht war jedoch – so der Sachverständige weiter – zu berücksichtigen, dass sich am Folgetag tatsächlich eine septische Arthritis gezeigt hatte. In diesem Fall hätte man nach den weiteren Darlegungen des Sachverständigen eine Einweisung in ein Krankenhaus vornehmen müssen.
Das zu unterlassen, wäre nach seinen Ausführungen ein schwerwiegender Behandlungsfehler gewesen. Die Prognose eines Hüftschnupfens wäre dann aufgrund des mittlerweile eingetretenen Zeitablaufs nicht mehr vertretbar gewesen und man hätte das Worst-Case-Szenario in Betracht ziehen müssen. Der Senat ist auf der Grundlage dieser medizinischen Beurteilung des Sachverständigen davon überzeugt, dass sich die Verkennung hier als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft im oben gesagten Sinne darstellt. Aus den Darlegungen des Sachverständigen ergibt sich auch, dass der Fehler generell geeignet war, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Denn die frühzeitige Diagnosestellung und Therapie verbessert die Prognose.
Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 €
Die Beklagten erbringen nicht den ihnen danach obliegenden Beweis, dass jeglicher Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist.
Der Senat verkennt nicht, dass ausnahmsweise eine Beweislastumkehr nicht greift, wenn der Ursachenzusammenhang gänzlich unwahrscheinlich ist, wobei die Beweislast dafür der Behandlerseite obliegt. Diesen Beweis haben die Beklagten jedoch nicht geführt.
Danach haften die Beklagten der Klägerin für den ihr aufgrund des Behandlungsfehlers entstandenen Schaden. Der Senat hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 € für angemessen, § 253 BGB.
Folgen des Behandlungsfehlers
Bei der zum Zeitpunkt der Behandlung erst sechs Jahre alten Klägerin entwickelte sich infolge der septischen Coxitis eine dezentrierte Hüftkopfnekrose mit Chondrolyse des linken Hüftkopfes. Im Hinblick auf die Umkehr der Beweislast wegen des groben Behandlungsfehlers ist nach dem oben Gesagten festzustellen, dass dies entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht auf der Grunderkrankung beruht, sondern durch den Behandlungsfehler verursacht wurde.
Seit dem Jahre 2014 befand sich die Klägerin deshalb in kontinuierlicher ärztlicher Behandlung und wurde primär durch die Orthopädische Klinik O betreut. In ihrer Bewegungsfähigkeit war sie aufgrund der Hüftkopfnekrose links seit dem 08.10.2013 erheblich eingeschränkt. Seit März 2014 ist sie bis auf weiteres auf die Nutzung von Gehhilfen bzw. eines Rollstuhls angewiesen. Eine am 23.06.2014 durchgeführte sog. Vario-Operation mit stationärem Aufenthalt im O-Hospital bis zum 30.06.2014versprach für kurze Zeit eine gewisse Besserung, sodass die Klägerin seit September 2014 kürzere Strecken ohne Gehhilfen zurücklegen konnte, Spaziergänge o.Ä. jedoch nur mit Hilfsmitteln. Seit Ende 2014 zeichnete sich eine erneute Verschlechterung ab. Seitens der Orthopädischen Klinik O wurde am 03.03.2015 festgestellt, dass die laterale Hälfte des Hüftkopfes der Klägerin sich weitegehend aufgelöst hatte mit der Folge einer erheblich eingeschränkten Hüftgelenksbeweglichkeit.
Eine Streckung des linken Beines der Klägerin ist ihr nicht mehr möglich und sie ist auch bei kürzeren Strecken auf Gehhilfen bzw. einen Rollstuhl angewiesen. Wegen des Befundes musste sich die Klägerin in der Zeit vom 03.03.2015 bis zum 30.03.2015 einem stationären Aufenthalt im O-Hospital unterziehen, bei dem eine diagnostische Gelenkspiegelung der rechten Hüfte vorgenommen wurde. Bei der Klägerin besteht aufgrund ihrer Beschwerden Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe 1.
Der Grad der Behinderung wurde mit 80 festgestellt sowie den Merkzeichen G, B, aG, wobei G für die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr steht, B für die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und aG für eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Mit Erreichen des zwanzigsten Lebensjahres ist voraussichtlich ein erster Hüftgelenkwechsel notwendig, weitere sind unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin möglich. Ob die Gehfähigkeit auf Dauer gegeben sein wird, ist fraglich. Der Einfluss der Erkrankung auf die gesamte persönliche, schulische, soziale und spätere berufliche Entwicklung ist derzeit nicht abschätzbar. Die Klägerin geht noch zur Schule, die Wiederholung einer Klasse war bisher nicht erforderlich.
Günstigster Heilungsverlauf ohne Behandlungsfehler
Dagegen hätte bei dem nach dem oben Gesagten wegen der Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin zugrunde zulegenden günstigsten Heilungsverlauf nach den Ausführungen des Sachverständigen die Klägerin zwei bis drei Wochen im Krankenhaus bleiben müssen, nach drei bis sechs Monaten hätte man eine MRT-Verlaufskontrolle vorgenommen. Im Übrigen hätte man Krankengymnastik mit der Klägerin gemacht, die Klägerin drei- bis viermal einem Arzt vorgestellt und nach insgesamt ca. einem halben Jahr wäre dann die Behandlung abgeschlossen gewesen. Diese Beeinträchtigungen können bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden.
Der Senat bewegt sich mit dem von ihm für angemessen erachteten Betrag in dem von der Rechtsprechung gezogenen Rahmen. Er verkennt nicht, dass unter Berücksichtigung des im Einzelfall nicht in vollem Umfang vergleichbaren Beschwerdebildes eines Hüftgelenkschadens bzw. einer Hüftkopfnekrose und der dadurch verursachten Auswirkungen auf die Person des Geschädigten sowie eines teilweise unterschiedlichen Verletzungsumfangs auch Entscheidungen vorliegen, die – auch unter Beachtung einer Indexierung auf das Jahr 2018 – geringere Beträge zugesprochen haben.
Unter Berücksichtigung der obigen Umstände, insbesondere des kindlichen Alters der Klägerin zum Zeitpunkt des Schadenseintritts, den Eintritt eines Dauerschadens und der erheblichen Auswirkungen auf ihre Lebensgestaltung bei verbleibender Unsicherheit über die weitere Schadensentwicklung, hält der Senat es für angemessen, sich bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes am oberen Bereich des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens zu orientieren.