OLG Hamm, Urteil vom 13. Oktober 2017 – 26 U 46/12 – juris
§ 253 BGB
200.000 € Schmerzensgeld
Ein Geburtsschaden durch eine Hirnblutung und einer dadurch verursachten rechts betonten spastischen Tetraparese kann ein Schmerzensgeld von 200.000 € rechtfertigen.
Fall:
Der am 17.02.1999 geborene Kläger begehrte Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund behaupteter geburtshilflicher und neonatologischer Fehler im Krankenhaus der Beklagten, das seit 1989 neonatologischer Schwerpunkt war.
Die Kindesmutter wurde während ihrer Schwangerschaft durch den Frauenarzt Dr. E. betreut. Dieser hatte einen korrigierten Entbindungstermin zum 08.04.1999 ermittelt und diagnostizierte am 04.01.1999 einen Fetus in Querlage sowie eine Placenta praevia totalis. Nach einer vaginalen Blutung überwies er die Kindesmutter zur stationären Weiterbehandlung ins Krankenhaus der Beklagten. Dort erfolgten regelmäßige Untersuchungen, die zunächst keine pathologischen Befunde aufwiesen.
Am Abend des 16.02.1999 wurde ein CTG angelegt. Danach schlief die Mutter ein. Beim Früh-CTG am folgenden Morgen – nach der auf dem CTG ausgewiesenen Uhrzeit gegen 9:00 Uhr – wies dies Wehentätigkeit sowie Dezelerationen auf. Die Kindesmutter blutete vaginal. Um 11:10 Uhr informierte die Hebamme den Chefarzt, der eine Sectio anordnete. Der Kläger wurde sodann um 11.49 Uhr entwickelt. Der Kläger wurde durch den anwesenden Kinderarzt sofort beatmet und auf die Intensivstation der Kinderklinik im Haus der Beklagten verlegt.
Am Folgetag erlitt der Kläger eine Hirnblutung beidseits, links stärker als rechts, die sich in der Folgezeit fast vollständig zurückbildete. In der 7. Lebenswoche wurde linksseitig eine Leukomalazie festgestellt. Am 14.04.1999 konnte der Kläger entlassen werden.
Das Landgericht hat sachverständig beraten die Klage abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung:
Die Berufung war nach Auffassung des OLG im Wesentlichen begründet:
Angesichts der bei der Kindesmutter vorliegenden Risiken und Besonderheiten hält der Senat in der Zusammenschau die Fehler insgesamt für einen groben Fehler im Rahmen des Behandlungsregimes, der letztlich dazu geführt hat, dass die Sectio später erfolgt ist als dies bei ausreichender Überwachung und Kontrolle sinnvoll gewesen wäre; denn der Sachverständige hatte schon bezüglich des 16.02.1999 angemerkt, dass er bei einer Kontrolle und Beibehaltung der Wehentätigkeit nicht mehr zugewartet, sondern sich noch an diesem Tag für eine Sectio entschieden hätte.
Zustand des Klägers auf Geburt zurückzuführen
Der neonatologische Sachverständige hat in seinem erneuten schriftlichen Gutachten aufgrund des durchgeführten MRT darauf verwiesen, dass der jetzige Zustand des Klägers auf die Frühgeburtlichkeit und die dabei erlittene Hirnblutung zurückzuführen ist, die seinen jetzigen Zustand vollkommen erklärt.
Nach den Ausführungen des neonatologischen Sachverständigen leidet der Kläger unter einer beidseitigen, aber rechts betonten spastischen Tetraparese. Bei der Motorik sind alle Gliedmaßen betroffen, so dass insbesondere ein erschwertes Gangbild vorliegt. Insgesamt zeigen sich deutlich abnorme Haltungs- und Bewegungsmuster und ein Rundrücken sowie feinmotorische Störungen in den Unterarmen. Der Kläger hat zwar trotz einer vorliegenden Störung der kognitiven Entwicklung Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt und auch einen Hauptschulabschluss erreicht, der ihn nach Auffassung des Sachverständigen nach Absolvierung einer Ausbildung auch befähigt, möglicherweise auf dem freien Markt einen Arbeitsplatz zu finden; nach Auffassung des Sachverständigen benötigt der Kläger, der bislang von seiner Mutter bestens umsorgt und mit allen nur erdenklichen Therapien gefördert worden ist, jedoch eine geschützte Umgebung, z. B. im Rahmen eines betreuten Wohnprojekts.
Der Kläger hat deswegen auch die Pflegestufe 2, weil er nicht in der Lage sein wird, völlig selbstständig auf eigenen Füßen zu stehen. Es kommt hinzu, dass der Kläger neben einer zerebralen Sehstörung auch psychische Störungen hat und sich nur langsam gegenüber nicht vertrauten Personen öffnet. Der Sachverständige hat dazu angegeben, dass der Kläger eine Warmlaufphase benötigt. Er neige dazu, sich zurückzuziehen, so dass der Sachverständige bei der Untersuchung viel Geduld habe aufbringen müssen und etwa eine Stunde gebraucht habe, bis sich der Kläger geöffnet und sich mit ihm unterhalten habe. Dabei spreche der Kläger sehr langsam mit leicht skandierender Sprache.
OLG hält Schmerzensgeld von 200.000 € für angemessen
Vor diesem Hintergrund hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 € für angemessen, aber auch ausreichend, um die Beeinträchtigungen des Klägers infolge des Behandlungsfehlers abzugelten. Ein solches Schadensbild bei Beeinträchtigung der körperlichen und auch geistigen/seelischen Funktionen erfordert ein nicht unerhebliches Schmerzensgeld, um dadurch die nur eingeschränkte Lebensqualität infolge eines groben Behandlungsfehlers auszugleichen. Ein höheres Schmerzensgeld hält der Senat unter Berücksichtigung ähnlicher oder deutlich schlimmerer Einschränkungen für nicht gerechtfertigt. Insoweit hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Kläger wegen seiner Behinderung im Rahmen seiner schulischen Laufbahn erheblichen Belastungen ausgesetzt war, so dass er mehrfach die Schule wechseln musste.