Unfall Schmerzensgeld

LG Saarbrücken, Urteil vom 15.Januar 2019 – 4 0 412/13 – eingereicht von Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt, Homburg/Saar

BGB § 253

Bei einem von einem Autofahrer grob fahrlässig verursachten schweren Unfall einer Fahrradfahrerin, mit einem Schädel-Hirn-Trauma unter Kontusionsblutung hochfrontal links und traumatischer Subarachnoidalblutung, einem hirnorganischen Psychosyndrom, einer Tibiakopftrümmerfraktur links, einem Fußgelenkbruch, schwersten Hämatomen am gesamten Körper und psychischen Folgen kann ein Schmerzensgeld von 60.000 € gerechtfertigt sein.

Fall:

Die Klägerin machte restliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom Juli 2010 in Saarbrücken geltend, bei dem sie als Fahrradfahrerin bei Kollision mit dem vom Beklagten zu 1) gefahrenen Pkw verletzt wurde.

Die zum Unfallzeitpunkt 42-Jährige befuhr mit ihrem Fahrrad den Meerwiesertalweg in Richtung Innenstadt auf dem dortigen gemeinsamen Geh- und Radweg in der zugelassenen Fahrtrichtung. Der Beklagte zu 1) befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw die untergeordnete Straße „An der Trift“ (Zeichen 205) und wollte nach rechts in den Meerwiesertalweg abbiegen. Zusätzlich wird an der vom Beklagten zu 1) befahrenen Straße darauf hingewiesen, dass auf dem Geh- und Radweg fahrenden Radfahrern Vorrang zu gewähren ist. Beim Einbiegen in den Meerwiesertalweg hat der Beklagte zu 1) die Vorfahrt der Klägerin missachtet und das Unfallereignis grob fahrlässig verursacht. Es kam zur Kollision des Pkw mit der Klägerin. Die Klägerin wurde auf die Motorhaube aufgeladen und stieß mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe des Pkw. Anschließend wurde sie ca. zwei Meter in Richtung Meerwiesertalweg weggeschleudert und kam auf der Fahrbahn zu liegen. Die Klägerin trug bei dem Verkehrsunfall einen Helm. Die hundertprozentige Haftung der Beklagten dem Grunde nach war unstreitig.

Klägerin erleidet zahlreiche Schäden und Depression

Die Klägerin erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma unter Kontusionsblutung hochfrontal links und traumatischer Subarachnoidalblutung (zunächst nicht erkannt), ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine Tibiakopftrümmerfraktur links, einen Fußgelenkbruch (zunächst nicht erkannt), schwerste Hämatome am gesamten Körper, insbesondere ein schweres Hämatom am linken Kniegelenk, Schmerzen im Bereich der Knochenbrüche und ständige, erhebliche Schmerzen im Kopf- und Gesichtsbereich, Lähmungserscheinungen und Taubheitsgefühle im Gesichtsbereich, sowie eine mittelschwere depressive Episode.

Die Tibiakopftrümmerfraktur wurde am Unfalltag mittels einer Plattenosteosynthese operativ versorgt. Da sich nach der Operation eine Zunahme der intrazerebralen Hirnblutung zeigte, musste die Klägerin sofort neurologisch intensivmedizinisch überwacht werden. Die Klägerin befand sich fünf Tage in stationärer Behandlung im Klinikum und wurde danach (im Rollstuhl) für die Dauer von einem Monat in eine stationäre neurologische Reha-Maßnahme entlassen. Nach der Entlassung konnte sie ihr linkes Bein nicht belasten und unterzog sich einer ambulanten orthopädischen Reha-Behandlung. Die Klägerin war unfallbedingt auch in psychotherapeutischer Behandlung.

Rechtliche Beurteilung:

Das LG Saarbrücken begründet die Bemessung des Schmerzensgeldes im Wesentlichen wie folgt:

Nach Maßgabe der Grundsätze zur Bemessung des Schmerzensgeldes und unter Berücksichtigung der unstreitigen und nachgewiesenen Unfallfolgen sowie der Umstände des konkreten Falls ist die Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 60.000 €, somit unter Berücksichtigung der bereits vorgerichtlichen gezahlten 30.000 € von weiteren 30.000 € erforderlich, aber auch ausreichend.

Im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt prägen zunächst die ganz erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin die Bemessung des Schmerzens-geldes. Die von der Klägerin über die unstreitig erlittenen Verletzungen hinaus erlittenen unfallbedingten Beeinträchtigungen sind somit insbesondere auf die unfallbedingte mittelschwere depressive Episode und Verarbeitungsstörung zurückzuführen, die alltagsrelevant sind. Hierauf sind auch die Probleme in der Konzentrationsfähigkeit sowie Störungen im Gangbild (Hinken) zurückzuführen. Weiter erlitt die Klägerin eine Fibulafraktur als sekundäre Unfallfolge und leidet weiter an einer Druckschmerzhaftigkeit im ehemaligen Bereich der Tibiakopffraktur. In keinem Fachgebiet kann nach den Gutachten ein bemessbarer Dauerschaden körperlichen Ursprungs festgestellt werden.

Grad der Behinderung von 30 ist anzunehmen

Eine messbare Funktionsbeeinträchtigung durch die ausgeheilten Brüche bestehe nicht. Die festgestellten Beeinträchtigungen beim Gehen beruhten auf einer somatoformen Störung. Körperliche Ursachen für die behauptete Störung der Feinmotorik der Hände konnten nicht festgestellt werden. Aus psychiatrischer Sicht ist eine 30-prozentige Behinderung anzunehmen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist weiter zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) das Unfallereignis unstreitig grob fahrlässig verursachte.

Das Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2) wirkt sich im konkreten Fall schmerzensgelderhöhend aus. Zunächst hat die Beklagte zu 2) vorgerichtlich bereits Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € gezahlt. Das Unfallereignis fand im Jahr 2011, somit nunmehr vor über acht Jahren statt. Die – durch Zahlung des Vorschusses von 30.000 € nicht in vollem Umfang abgegoltenen – fortdauernden psychischen Beeinträchtigungen und Dauerschäden der Klägerin sind nach den Feststellungen des Sachverständigen auch auf die verzögerte Regulierung zurückzuführen.

Ein Schmerzensgeld von mehr als 60.000 €, etwa in Höhe der begehrten 90.000 € hält das Gericht trotz der erheblichen Verletzungen für übersetzt. So wurde ein Schmerzensgeldbetrag von 100.000 € angenommen, bei einer Hirnschädigung mit ständiger ambulanter Nachbehandlung (OLG Stuttgart, Urt. v. 13.5.2008 — 1 U 75/07; KG, NJW-RR 203, 24 – ständige ambulante Nachbehandlung erforderlich nach Hirnschädigung: 110.000 €) oder ein Schmerzensgeld von 125.000 € bei Hirnschädigung eines jüngeren Verletzten, der kein Pflegefall war (OLG Zweibrücken, Urt. v. 24.6.1998 — 1 U 172/97 mit Dauerbeeinträchtigung; Geschädigte war eine junge Frau). Zwar erlitt die Klägerin ein Schädel-Hirn-Trauma und auch ein hirnorganisches Psychosyndrom. Eine dauerhafte unfallbedingte Hirnschädigung und unfallbedingte neurologische Schäden oder Schmerzen mit ständiger Nachbehandlung und gravierendsten Folgen konnte die Klägerin hier nicht nachweisen, ebenso wenig eine posttraumatische Belastungsstörung.

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