OLG München, Urteil vom 24. Juni 2015 – 10 U 3313/13 – juris (= SP 2016, 9)

110.000 € Schmerzensgeld

Orientierungssatz juris:

1. Wird die Fahrerin eines Pkw bei einem Frontalzusammenstoß, der durch das schwerwiegende fehlerhafte Verhalten des Unfallgegners verursacht worden ist, schwer verletzt mit der Folge, dass sie dauerhaft an einer mittelgradigen Gehbehinderung leidet und einen Gehstock benutzen muss, dass sie unter deutlichen Behinderungen auch im Arm-, Ellenbogen- und Schulterbereich und daraus resultierenden erheblichen seelischen Belastungen leidet und eine Erwerbsminderung von 70 Prozent vorliegt, ist ein Schmerzensgeld von 110.000 EUR grundsätzlich angemessen.

2. Im Berufungsverfahren ist bei der Schmerzensgeldbemessung eine Kleinlichkeit ebenso zu vermeiden wie die letztlich nicht begründbare Abänderung erstinstanzlicher Entscheidungen um Kleinbeträge (eine Abänderung erfordert vielmehr eine „greifbare“ Fehlbewertung).

3. Erweist sich danach das erstinstanzlich wegen der Verletzung durch einen Verkehrsunfall ausgeurteilte Schmerzensgeld von insgesamt 110.000 EUR grundsätzlich als angemessen, hat jedoch die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung, die ihrerseits kein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hatte, über zwei Jahre etwa die Hälfte des insgesamt angemessenen Schmerzensgeldes ohne Begründung nicht geleistet, ist eine Erhöhung unter dem Gesichtspunkt zögerlichen und kleinlichen Regulierungsverhaltens (hier: um 2.000 EUR ) geboten.

Fall:

Am 22.03.2004 gegen 14.10 Uhr ereignete sich ein Frontalzusammenstoß zwischen dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw und dem von der Klägerin gesteuerten Pkw. Die Haftung der Beklagten für die Unfallschäden war dem Grunde nach unstreitig. Die Klägerin wurde durch den Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie erlitt ein Polytrauma mit der Folge, dass sie dauerhaft an einer mittelgradigen Gehbehinderung leidet und einen Gehstock benutzen muss, dass sie unter deutlichen Behinderungen auch im Arm-, Ellenbogen- und Schulterbereich und daraus resultierenden erheblichen seelischen Belastungen leidet und eine Erwerbsminderung von 70 Prozent vorliegt.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG führte u. a. aus:

Insbesondere weist der unstreitige Tatbestand des Ersturteils auf, dass die Klägerin aufgrund des Unfalls dauerhaft an einer mittelgradigen Gehbehinderung leidet und einen Gehstock nutzen muss, sowie insgesamt eine Erwerbsminderung von 70 Prozent vorliegt. Das Erstgericht hat zudem ein schwerwiegendes fahrerisches Fehlverhalten auf Beklagtenseite festgestellt und dieses ordnungsgemäß in die Beweiswürdigung eingestellt.

Der Senat hält nach eigenständiger Überprüfung und Bewertung unter Würdigung aller Gesamtumstände und unter Beachtung seiner Rechtsprechungspraxis, wonach bei der Schmerzensgeldbemessung eine Kleinlichkeit ebenso zu vermeiden ist wie die letztlich nicht begründbare Abänderung erstinstanzlicher Entscheidungen um Kleinbeträge (eine Abänderung erfordert vielmehr eine „greifbare“ Fehlbewertung), das erstinstanzlich ausgeurteilte Schmerzensgeld von insgesamt 110.000 EUR grundsätzlich für angemessen. Jedoch ist angesichts des unverständlichen Verhaltens der Beklagten, die über zwei Jahre etwa die Hälfte des insgesamt angemessenen Schmerzensgeldes ohne Begründung nicht geleistet hat, eine Erhöhung unter dem Gesichtspunkt zögerlichen und kleinlichen Regulierungsverhaltens geboten. Dabei ist berücksichtigt, dass einerseits Ursache dieser Nichtleistung ein Versehen gewesen sein mag und die Klägerin diesen Betrag nicht ausdrücklich eingefordert hatte, andererseits die Beklagte sich äußerst nachlässig auf die Berufungsverhandlung vorbereitet, die ihr zugestellten Terminhinweise des Senats missachtet und auch den Tatsachenvortrag der Klägerin nicht zum Anlass genommen hatte, wenigstens bis zum Termin der mündlichen Verhandlung eine Klärung herbeizuführen. Deswegen ist eine Erhöhung um 2.000 EUR sachgerecht.