LG Essen, Verhandlungstermin 6. Mai 2020

Fall:

Beim Germanwings-Absturz vor fünf Jahren starben 150 Menschen. Nach Ansicht der Ermittler hatte der an Depressionen leidende Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht.  Vor dem Landgericht Essen fordern Hinterbliebene nun höhere Schmerzensgeldzahlungen. Verhandelt wurden am 6. Mai 2020 die Klagen Hinterbliebener gegen die Lufthansa und gegen eine Lufthansa-Flugschule in den USA. Dort hatte der Co-Pilot der Maschine seine Ausbildung beendet – wegen mutmaßlicher Depressionen allerdings nur mit einer Sondergenehmigung.

Die Lufthansa hatte nach dem Unglück bereits Zahlungen geleistet. Nach früheren Angaben der Fluggesellschaft erhielten nächste Angehörige pro Person 10.000 € Schmerzensgeld, für jedes Todesopfer sollen außerdem 25.000 € als sogenanntes vererbbares Schmerzensgeld gezahlt worden sein. Nach Auffassung des Rechtsanwalts der Kläger sind diese Summen jedoch zu gering. Geklagt wird auf Zahlung von weiteren 30.000 € für die Angehörigen und auf eine Verdoppelung des vererbbaren Schmerzensgeldes auf insgesamt 50.000 €.

Eine Entscheidung ist am Verhandlungstag noch nicht gefallen.

Rechtliche Beurteilung:

Die Richter haben bereits signalisiert, dass die Lufthansa möglicherweise der falsche Adressat der Klagen sein könnte. Die medizinische Überwachungspflicht könne auch Aufgabe des Staates sein, hieß es im Prozess. „Wir neigen nach derzeitigem Stand dazu, die Tauglichkeitszeugnisse dem Luftfahrtbundesamt zuzuschreiben“, sagte ein Richter in der Verhandlung. Ihre endgültige Entscheidung wollen die Richter der 16. Zivilkammer am 1. Juli verkünden.

Aus Sicht der Lufthansa besteht kein weiterer Anspruch. „Der Inhalt medizinischer Probleme ist dem Unternehmen nicht bekannt – allein schon wegen der Schweigepflicht der Ärzte“, so der Anwalt der Beklagten.

Anmerkung:

Auch die Höhe der geforderten Schmerzensgeldbeträge ist nicht unproblematisch.

Was das geforderte weitere Schmerzensgeld der Hinterbliebenen aus eigenem Recht anbelangt, müssen sie eine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten haben. Der Tod des nahen Angehörigen ist nämlich rechtlich ein Drittschaden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod oder bei schweren Verletzungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, nur dann als eigene Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung von dem Unfall eines nahen Angehörigen oder dem Miterleben eines solchen Unfalls erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.

Feststellung eines Schockschadens würde Höhe des Schmerzensgeldes nicht beeinflussen

Das Hinterbliebenengeldgesetz ist auf den Fall noch nicht anwendbar. Selbst wenn man einen sog. Schockschaden unterstellt – was bei einem solch schrecklichen Unglück nicht fernliegen dürfte – würde die geforderte Summe von 30.000 € die bisher von der Rechtsprechung bei Schockschäden zuerkannten Beträge weit übersteigen. Dies werden aber letztlich die Gerichte zu entscheiden haben, wobei ein Trend zu höheren Schmerzensgeldern durchaus erkennbar ist.

Was das geforderte weitere Schmerzensgeld aus ererbten Recht anbelangt, ist schwer zu beurteilen, wie man die letzten Minuten der Todesangst der Insassen beim Absturz bis zu ihrem Tod und den dabei noch erlebten Schmerz bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bewertet. Bei den Hinterbliebenen steht auch in der Regel nicht die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgelds im Vordergrund, sondern eher die Genugtuungsfunktion. Ein Hinterbliebener wurde beim Prozessauftakt in den Medien mit den Worten zitiert: „Mir würde es reichen, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden.“