OLG Nürnberg, Urteil vom 30. Juni 2015 – 3 U 1303/12

180.000 € Schmerzensgeld

Ein schweres Schädelhirntrauma mit multiplen Scherungsverletzungen, Kontusionsblutung, eine vordere Beckenringfraktur rechts, eine Beckenringfraktur und eine Sakrumfraktur links sowie Mehrfachfrakturen am linken Unterarm können ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 180.000 € rechtfertigen.

Fall:

Die 50-jährige Klägerin wurde als Fahrerin eines PKW schwer verletzt, als ihr Fahrzeug von dem durch die Beklagte zu 2) geführten entgegenkommenden, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten PKW, dessen Halter der Beklagte zu 3) war, gestreift wurde, weil die Beklagte zu 2) nach einem Überholmanöver nicht mehr rechtzeitig auf ihre Richtungsfahrbahn einscherte.

Klägerin wurde vom Beklagten bei einem missglückten Überholmanöver gestreift

Infolge des Streifvorgangs wurde das Fahrzeug der Klägerin zunächst um 90 Grad nach links gedreht und schleuderte quer zur Fahrbahn auf die Gegenfahrbahn. Dort wurde es von einem weiteren entgegenkommenden PKW erfasst, der in die rechte Seite des PKW der Klägerin fuhr. Diese erlitt nach den Feststellungen des OLG ein schweres Schädelhirntrauma mit multiplen Scherungsverletzungen, eine Kontusionsblutung rechts hochparietal, eine vordere Beckenringfraktur rechts, eine Beckenringfraktur und Sakrumfraktur links sowie Mehrfachfrakturen am linken Unterarm.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG hielt im vorliegenden Fall unter umfassender Gesamtwürdigung ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 180.000,- € für angemessen. Dabei spielten insbesondere folgende Umstände eine Rolle:

Klägerin erlitt einen vollständigen Verlust Ihres Riechvermögens

Als Folge der Hirnverletzungen hat sich im Gehirn der Klägerin eine diffuse Substanzschädigung mit massiver Beeinträchtigung linksseitiger und rechtsseitiger frontaler sowie linksseitiger temporaler Leistungen bei geringfügig besseren rechtsseitigen temporalen Funktionen entwickelt, darüber hinaus ein vollständiger Verlust des Riechvermögens beidseits sowie eine ausgeprägte Störung des Schmecksinnes von mehr als 50 %.

Die errechnete kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderungen des Körpers der Klägerin führten dazu, dass bei dem Unfall unter Berücksichtigung einer Stoßzeit von 0,1 Sekunden das 12,74 fache der Erdbeschleunigung auf sie einwirkte. Die dabei aufgetretenen Kräfte haben zu Scherungsverletzungen im Gehirn der Klägerin geführt.

Die unfallbedingte Hirnschädigung wirkt sich massiv auf die kognitiven Fähigkeiten der Klägerin aus.

Der Fall ist beispielhaft für ein axonales Zerreißungstrauma

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass bei der Klägerin ein beispielhafter Fall für ein schwerstes axonales Zerreißungstrauma vorliegt. Dabei werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Hirnregionen zum Teil unterbrochen oder schwerst geschädigt. So eine Verletzung führt letztlich zu einer Kommunikationsstörung innerhalb des Gehirns. Einzelne Hirnareale können durchaus unterschiedlich schwer betroffen sein. Entscheidend für die vorliegenden Beeinträchtigungen der Klägerin ist, dass die Verbindungen zwischen den verschiedenen Hirnarealen (wie z.B. motorische Rinde, Stirnhirn, Gleichgewichtszentren und auch Riechzentrum frontal) schwer gestört sind. Dadurch fehlen notwendige Impulse.

Verletzungen sind irreversibel

Die Regeneration dieser axonalen Schäden ist altersabhängig. Während ein 20-Jähriger solche Schäden teilweise reparieren kann, ist dies bei der zum Unfallzeitpunkt 50-Jährigen Klägerin nur noch in geringem Umfang möglich. Die inzwischen bei der Klägerin aufgetretene Hirnatrophie, die in dem Gutachten auf der Basis des Vergleichs der MRT Befunde von vor und nach dem Unfall dokumentiert ist, beweist, dass die Hirnrinde sekundär schwerst geschädigt wird. Dies hat zur Folge, dass bei den Alltagsbetätigungen eine schwere Behinderung eintritt. Denn die Verbindungen im Gehirn sind nicht redundant. Die Klägerin muss sich deshalb maximal konzentrieren um überhaupt etwas schaffen zu können. Die bei der Klägerin als Folge des Unfalls aufgetretene Hirnatrophie ist irreversibel.