Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. März 2015 – 4 U 93/14, juris
100.000 € Schmerzensgeld
Ein zögerliches Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherung kann eine Erhöhung des Schmerzensgeldes begründen.
Fall:
Schwere Verletzungen, sechs Wochen Klinikaufenthalt
Bei den Parteien handelte es sich um ehemalige Arbeitskollegen. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt zwar nicht mehr im selben Unternehmen wie der Beklagte tätig, nahm jedoch als Gast an einer Weihnachtsfeier teil. Der Beklagte näherte sich dem Kläger und legte einen Arm um den Kläger. Der Kläger versuchte sich aus dieser Umarmung zu lösen, rutschte dabei vom Barhocker und stürzte auf den Fliesenfußboden, wobei er mit seinem Kopf aufschlug und sich schwere Verletzungen zuzog. Es folgten ca. sechs Wochen Klinikaufenthalt.
Rechtliche Beurteilung:
Für das dem Kläger gem. § 253 Abs. 2 BGB zustehende Schmerzensgeld hält der Senat einen Betrag von insgesamt 100.000 € für angemessen. Aufgrund eines Sturzes vom Barhocker auf der Betriebsweihnachtsfeier hat der Kläger eine Fraktur der Vorder- und Hinterwand des Schädels, eine neurogene Schluckstörung sowie einen Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns erlitten. Über ca. dreieinhalb Jahre war nur eine flüssige Nahrungsaufnahme möglich. Durch die Verletzungen ist eine dauerhafte Schmerztherapie wegen chronischer Kopfschmerzen erforderlich. Der Kläger leidet weiterhin unter Beeinträchtigungen im psychischen Bereich bei der Bewältigung des Alltags. Es besteht ein Gesamt-GdB von 60 % und eine dauerhafte vollständige Erwerbsunfähigkeit. Das LG hat für die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes zu Recht die Entscheidung des OLG Nürnberg (vom 11.7.1995 – 11 U 267/95) als im Ansatz vergleichbar herangezogen. Mit dieser Entscheidung hat das OLG Nürnberg einem 50-jährigen Fahrradfahrer, der infolge eines von einem alkoholisierten Pkw-Fahrer (1,32 Promille) allein verschuldeten Verkehrsunfalls schwerste Verletzungen erlitten hat, die nach mehrmonatigem Aufenthalt in Krankenhäusern – teilweise mit maschineller Beatmung und Komplikationen im Bereich der Brusthöhle – und Rehabilitationseinrichtungen zu Dauerschäden und daraus folgender Erwerbsunfähigkeit geführt haben, – unter Berücksichtigung des äußerst „kleinlichen“ Regulierungs- und Prozessverhaltens des Haftpflichtversicherers des Schädigers – ein Schmerzensgeld in Höhe von 130.000 DM (66.467,94 €) zuerkannt. Ein im Jahr 1995 in einem vergleichbaren Fall zugesprochener Betrag von 75.000 € entspricht unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen, am Verbraucherpreisindex orientierten Geldwertentwicklung heute einem solchen von 100.000 €. Das LG hat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zutreffend erhöhend berücksichtigt, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten trotz der Feststellungen der von ihr selbst beauftragten Gutachter und trotz ihres schriftlich erklärten „Anerkenntnisses“ der Haftung dem Grunde nach nur einen Schmerzensgeldvorschuss in Höhe von 10.000 € gezahlt hat.