OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16, juris

§ 249 BGB, § 253 BGB, § 843 BGB, § 844 BGB, § 7 StVG

7.000 € Schmerzensgeld

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung. Angesichts der mangelnden Vergleichbarkeit vieler Fallgestaltungen fehlt es oft an brauchbaren Kriterien, wie insbesondere auch die Dauer der Beeinträchtigung ausreichend berücksichtigt wird. Der Senat hält deshalb eine Methode, das Schmerzensgeld nach der Art der Behandlung (Krankenhaus, Reha) und der Dauer der Beeinträchtigung zu bemessen, für geeignet, eine angemessene und vergleichbare Entschädigung zu errechnen. Die im Handbuch Schmerzensgeld 2013 (Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi) unter Berücksichtigung des Grads der Schädigungsfolgen dargelegten Ansätze können dazu herangezogen werden.

Fall:

Die Parteien stritten über den Hergang und die Folgen eines Verkehrsunfalls. Der Beklagte zu 1 befuhr mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw die A-Straße in B in Richtung des Ortsteils C. Vor der Kreuzung zu der B448 wendete er, um in der Gegenrichtung weiter zu fahren. Auf der Gegenfahrspur fuhr der Kläger mit seinem Kraftrad in Gegenrichtung und kollidierte mit der hinteren rechten Ecke des Fahrzeugs der Beklagten. Das Motorrad erlitt einen Totalschaden. Der Kläger wurde erheblich verletzt. Er erlitt eine Radiusmehrfachfraktur links, eine HWS-Distorsion, eine Bauchwandprellung und Sensibilitätsstörungen im Bereich der Finger. Der Bruch wurde osteosynthetisch und mit einem gelenküberbrückenden Fixateur externe versorgt. Der Kläger befand sich in stationärer Behandlung und war krankgeschrieben.

Das Landgericht hat u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.500 € für angemessen erachtet und sich dabei auf die vom Kläger vorgelegten Unterlagen bezogen.

Rechtliche Beurteilung:

Der Kläger hatte nach Auffassung des OLG einen Anspruch auf Schmerzensgeld in einem Umfang von insgesamt 11.000 €:

Nach dem die Beklagte zu 2 bereits 5.000 € vorgerichtlich gezahlt hat, verbleibt ein Betrag von 6.000 €, mit dem der Senat über das ursprünglich in der Klage geforderte Schmerzensgeld von 5.000 € und auch über das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld von 5.500 € geringfügig hinausgeht. Dies ist deshalb möglich, weil der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt und lediglich als Untergrenze den von ihm genannten Betrag angegeben hat. Eine Beschränkung im Sinne des § 308 ZPO liegt deshalb nicht vor.

Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung eine angemessene Differenzierung zulässt.

Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach den §§ 253 Abs. 2 BGB, 287 ZPO begründen. Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv, nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen. Ein zeitlich begrenztes Schmerzensgeld ist grundsätzlich unzulässig. Die Frage, ob spätere Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar sind, richtet sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffs durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d. h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen.

Grundlagen für die Bestimmung des Schmerzensgeld

Im Rahmen der Urteilsbegründung genügt es nicht, zur Festsetzung eines für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes auf andere Entscheidungen zu verweisen. Der Tatrichter muss sich vielmehr mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Umständen auseinandersetzen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung. Abzustellen ist daher auf den jeweils vorliegenden konkreten Einzelfall. Der Große Senat des BGH hat in BGHZ 18, 149 bereits darauf hingewiesen, dass bei der Schmerzensgeldbemessung alle Begleitumstände auf Seiten des Schädigers und des Geschädigten zu berücksichtigen sind. Unter dem 16. September 2016 (VGS 1/16) haben die Vereinigten Großen Senate des BGH entschieden, dass alle Umstände eines Falles zu berücksichtigen sind und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Seiten dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden können.

Folgen des Verkehrsunfalls

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Mehrfachradiusfraktur erlitten hat, die mit einem Fixateur externe, einem sehr aufwändigen und schwierig zu handhabenden Stabilisierungsapparat, geschient wurde. Außerdem erlitt er eine HWS-Distorsion und auch eine Bauchwandprellung. Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat bekundet, dass er auch noch lange nach Ende seiner Arbeitsunfähigkeit Schwierigkeiten mit der Hand- und Armbetätigung gehabt, sich in krankengymnastischer Behandlung befunden und auch deutlichen Kraftverlust und Sensibilitätsstörungen in der Hand verspürt hat. Der Kläger hat angegeben, nicht in der Lage gewesen zu sein, einen Brems- oder Kupplungshebel eines Motorrades zu betätigen. Dies zeigt deutlich, welche Beeinträchtigungen mit der Fraktur und der komplizierten Heilung verbunden sind. Die Angaben des Klägers waren für den Senat auch vollständig glaubhaft, sie sind auch nicht im Einzelnen von der Beklagtenseite in Zweifel gezogen worden.

Der Kläger hat sich zwischenzeitlich der Operation zur Entfernung des Osteosynthese-Materials unterzogen. Der Senat geht weiter davon aus – und beruft sich dabei auf seine Sachkenntnis als Fachsenat für Arzthaftungs- und Verkehrsunfallsachen –, dass der Kläger in späteren Jahren unter verstärkter Arthrose im Bereich der Hand- und Armverletzung wird leiden müssen und aller Voraussicht nach gewisse Sensibilitäts- und Kraftminderungsstörungen nicht vollständig beseitigt werden können. Der Senat beruft sich zum Vergleich auf folgende Entscheidungen, die in dem Kompendium von Hacks/Wellner/Häcker 2018 abgedruckt sind: LG Mainz, 22. Januar 1998 – 1 O 547/96 -; LG Schweinfurt, 22. Mai 2012 – 22 O 349/07 -; LG Weiden in der Oberpfalz, 23. April 2002 – 1 O 66/02 -; OLG Hamm, 9. Januar 2009 – 9 U 144/08 -; LG Münster, 13. Januar 2005 – 15 O 412/04 -, die hinsichtlich des Umfangs der Verletzungen und der Höhe des Schmerzensgeldes mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind.

Der Senat hält allerdings einen Vergleich mit anderen Entscheidungen, sowie auch die Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere auch des Alters der Verletzten und der Dauer der Beeinträchtigungen im Wege einer pauschalen Betrachtung für unzureichend, um den Umfang der Beeinträchtigungen eines Verletzten gleichmäßig und auch für Geschädigte voraussehbar zu berechnen.

Bemessung des Schmerzensgeldes wenig standardisiert

Die Erfahrungen des Senats zeigen, dass die Bemessung eines Schmerzensgeldes in geradezu extremer Art und Weise von der persönlichen Situation des erkennenden Richters, den Vorstellungen, die der Rechtsanwalt des Geschädigten äußert und auch von dem Landstrich abhängt, in dem sich das Gericht befindet. Diese Umstände lassen es für die außergerichtliche Rechtsberatung nahezu unmöglich erscheinen, einen tatsächlich angemessenen Betrag zu errechnen, hinsichtlich dessen auch mit einem Klageerfolg gerechnet werden kann. Insbesondere die lange Dauer einer Beeinträchtigung wird oftmals durch die Gerichte unterschätzt, wie sich an vielen Beispielen aus der Schmerzensgeldtabelle Hacks/Wellner/Häcker erkennen lässt, wo zwar das Alter der Verletzten dargestellt wird, aber die Dauer der Auswirkung lediglich in kurzen Andeutungen erkennbar ist, insbesondere keine eigene Kategorie der Bemessung darstellt.

Dauer der Beeinträchtigung als Maßstab

Dass dies für alle Beteiligten eine schwierige Situation ist, ist allgemein bekannt. Es werden wissenschaftliche Untersuchungen darüber geführt, inwieweit in verschiedenen Gerichten unterschiedliche Schmerzensgeldbeträge ausgeurteilt werden (aktuell Universität Köln). In vielen europäischen Ländern gibt es bereits Tabellen für typische Verletzungen, die teilweise von Richterakademien, teilweise von Berufsverbänden erarbeitet worden sind (vgl. dazu Höke, NZV 14, Seite 1; Riedmeyer, ZfS 14, 304). Bereits die ehemalige Richterin des VI. Zivilsenats des BGH, Erika Scheffen, hat sich in NZV 94, Seite 417 für eine Standardisierung am Beispiel von OLG-Leitlinien ausgesprochen.

Dass die Dauer der Beeinträchtigung eine erheblich größere Rolle bei der Bemessung des Schmerzensgeldes spielen muss als bisher, zeigt sich an dem Beispiel einer Unterschenkelamputation. So haben das OLG Hamm (19. November 2001 – 13 U 136/98 -) und das OLG München (14. September 2005 – 27 U 65/05 -) bei jungen Frauen Schmerzensgelder von 40.000,00 € bzw. 45.000,00 € angenommen. Verteilt man diesen Betrag auf eine Lebenserwartung von noch 40 Jahren, so ergibt sich ein Tagessatz von 3,00 €. Dies erscheint dem Senat als unerträglich. Der Senat sieht zwar auch, dass es kaum einen Betrag geben dürfte, der für die fraglichen Beeinträchtigungen nicht nur physischer, sondern auch psychischer Art einen ausreichenden Ausgleich darstellen dürfte; der Fall soll allerdings lediglich als Beispiel dienen, dass die dauerhafte Beeinträchtigung eine deutlich größere Rolle spielen muss.

Der Senat berechnet deshalb vorliegend das Schmerzensgeld auch nach den Kriterien, die in dem „Handbuch Schmerzensgeld“ (Schwintowski/Schah Sedi/ Schah Sedi, 2013) zugrunde gelegt sind. Darin wird zunächst davon ausgegangen, dass eine taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes insoweit möglich ist, als die unterschiedlichen Behandlungsstufen und Stufen der Schadensfolgen berücksichtigt werden können. Dafür sind entsprechende Zeitabschnitte maßgeblich.

Weiterer Ausgangspunkt ist, insoweit wird auf die ausführliche Darstellung in dem Buch Bezug genommen, die Annahme, dass der Schmerz und die Beeinträchtigung zunächst für jeden Menschen gleich sind, also weder nach dem Einkommen noch nach dem persönlichen Status unterschiedlich bewertet werden dürfen. Deshalb gehen die Autoren nach Auffassung des Senats zu Recht davon aus, dass ein Durchschnittseinkommen maßgeblich sein muss, das als Grundlage unterschiedlicher Wertungsstufen herangezogen werden kann. Der Senat geht dabei von einem Bruttonationaleinkommen je Einwohner monatlich von 2.670,16 € aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2010, Fachserie 18, Reihe 1.4; Schwintowski u.a., Handbuch Schmerzensgeld, Seite 63 ff.).

Taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes

Nimmt man für den Aufenthalt in einer Normalstation eines Krankenhauses einen Betrag von 10 % dieses Einkommens als Ausgleichsbetrag an, ergibt sich für die elf Tage des Krankenhausaufenthalts des Klägers ein Betrag von 2.937,11 €; für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit könnte nach diesem System ein Betrag von 7 % pro Tag, mithin 186,91 €, angesetzt werden.

Tatsächlich ist die Arbeitsunfähigkeit allerdings kein ausreichend taugliches Merkmal, da diese lediglich pauschal wiedergibt, ob der behandelnde Arzt den Patienten für arbeitsfähig hält oder nicht, nichts aber darüber aussagt, inwieweit tatsächlich eine Beeinträchtigung vorliegt. Zutreffend stellen die Autoren deshalb nicht auf die Arbeitsunfähigkeit, sondern den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ab, wie er auf der Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung vom 10. Dezember 2008 bemessen wird. Dieser Grad der Schädigungsfolgen ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung eines Gesundheitsschadens, drückt also genau die Lebensbeeinträchtigungen aus, die für die Bemessung des Schmerzensgeldes relevant sind.

Nach der darin befindlichen Tabelle ist bei den Beeinträchtigungen des Klägers, ebenso wie von diesem angenommen, von einer 50-prozentigen Beeinträchtigung auszugehen, so dass sich als Tagessatz nach der Bemessung im „Handbuch Schmerzensgeld“ ein Betrag von 50 % des Betrages von 186,91 € täglich ergibt, der als Tagessatz von 7 % des Bruttonationaleinkommens angenommen wird. Dies macht für den Zeitraum vom 13. März bis 27. April 2014 (46 Tage) einen Betrag von 4.298,93 € aus. Für den Zeitraum vom 28. April bis 31. Juli 2014 sind, nach den glaubhaften Angaben des Klägers, 25 % Minderung anzusetzen, so dass sich bei 95 Tagen und einem Tagessatz von 46,72 € ein Gesamtbetrag von 4.438,40 € ergibt. Aufaddiert ergeben diese Beträge eine Gesamtsumme von 11.674,44 €.

Das System des taggenauen Schmerzensgeldes bleibt an dieser Stelle allerdings nicht stehen, sondern sieht auf einer zweiten Stufe individuelle Zu- und Abschläge vor. Dabei können besondere Umstände des Falles in erhöhender wie in vermindernder Art und Weise berücksichtigt werden. Dies könnte vorliegend zum Beispiel darin liegen, dass es noch weitere längerfristige Beeinträchtigungen gegeben hat und die Gefahr einer Arthrose durchaus realistisch ist. Auf der anderen Seite sind solche Auswirkungen in gewisser Weise auch schon durch die lange Dauer der Beeinträchtigung miterfasst.

Ebenso erscheinen die Prozentsätze, wie sie auf Seite 67 des „Handbuchs Schmerzensgeld“ von Schwintowski u. a. aufgelistet sind, keinesfalls zwingend und könnten auch deutlich geringer angesetzt werden.

Für den Senat ist allerdings diese Herangehensweise unter verschiedenen Aspekten vorzugswürdig: Eine gewisse schematische Herangehensweise dürfte die außergerichtliche Schmerzensgeldregulierung etwas vereinheitlichen und auch eine bessere gemeinsame Basis für die Schätzung des adäquaten Schmerzensgeldes geben. Dies könnte auf Dauer dazu führen, dass bei langfristigen Beeinträchtigungen deutlich höhere Schmerzensgelder ausgeworfen werden, während bei geringen Beeinträchtigungen die Schmerzensgelder deutlich vermindert werden könnten, jeweils im Verhältnis zu den heute ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträgen.

11.000 € Schmerzensgeld

Da auch die von dem Geschädigten genannte Untergrenze des Schmerzensgeldes durchaus einen Anhaltspunkt für den von ihm als adäquat angesehenen Betrag geben kann, kommt der Senat bei Berücksichtigung einerseits vergleichbarer Entscheidungen und andererseits einer taggenauen Berechnung zu dem Ergebnis, dass vorliegend ein Gesamtbetrag von 11.000,00 € angemessen, aber auch ausreichend ist, um die vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen einschließlich zukünftiger wahrscheinlicher Schäden abzudecken.

Anmerkung:

Es ist zweifelhaft, ob die sogenannte taggenaue Berechnungsweise des OLG mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang steht. Nach der vom OLG selbst zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Schmerzensgeldbemessung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

In erster Linie bilden danach die Größe, die Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage der Bemessung der billigen Entschädigung. Daneben können auch die Genugtuungsfunktion und die wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem bei der Bemessung eine Rolle spielen.

Pseudogenauigkeit der taggenauen Berechnung

Die vermeintlich objektivierende Berechnungsweise, die das Oberlandesgericht zugrunde legt, vermittelt lediglich eine Pseudogenauigkeit, welche die Umstände des jeweiligen Einzelfalles, also die Größe, die Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen, in den Hintergrund drängt. Menschliches Leid lässt sich nicht schematisieren bzw. formalisieren. Das Argument, ein Schmerzensgeld von 40.000 bis 45.000 € für eine Unterschenkelamputation bei einer Geschädigten mit einer Lebenserwartung von noch durchschnittlich 40 Jahren ergebe einen Tagessatz von ca. 3 € und sei damit zu gering, greift zu kurz.

Eine Tendenz zu höheren Schmerzensgeldern ist in der Rechtsprechung zwar durchaus erkennbar, sie sind auch möglich und vielleicht wünschenswert. Der Große Senat in Zivilsachen hat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 1955 (GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 156) zugunsten des Verletzten sogar ausdrücklich die Berücksichtigung einer Haftpflichtversicherung des Schädigers zugelassen, dies allerdings in verständigen Grenzen. Dabei hat er zu bedenken gegeben, dass es letztlich die Gemeinschaft aller Versicherten ist, die mit einer solchen Ausweitung belastet wird.

Im vorliegenden Fall kommt das Berufungsgericht bei seiner Berechnung lediglich zu einer unwesentlichen Erhöhung des Schmerzensgeldes gegenüber dem Landgericht, das von der herkömmlichen Berechnungsmethode ausgegangen ist. Wenn man jedoch die vom OLG favorisierte Berechnungsmethode auf schwerere oder sogar schwerste Fälle anwenden würde, etwa Querschnittslähmungen oder schwerste Hirnschädigungen, käme man zu Schmerzensgeldbeträgen, die eklatant über den bisherigen Vergleichsfällen lägen und letztlich von der Gemeinschaft aller Versicherten zu tragen wären. Dies käme einer Änderung der bisherigen Rechtsordnung gleich, die dem Gesetzgeber überlassen bleiben sollte.

Der Gleichheitsgrundsatz gilt auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes. Eine grundsätzliche Orientierung an vergleichbaren Fällen in der bisherigen Rechtsprechung anhand von Schmerzensgeldtabellen dient dazu, Abweichungen in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Abweichungen von Schmerzensgeldern in vergleichbaren Fällen sind demnach möglich, müssen jedoch nach der Rechtsprechung des BGH (vergleiche bereits Urteil vom 8. Juni 1976 – VI ZR 216/74, MDR 1976, 1012) regelmäßig begründet werden. Dass dies teilweise von Tatrichtern ignoriert wird, rechtfertigt keine abweichende Betrachtungsweise.

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