OLG Thüringen, Urteil vom 16. Januar 2015 – 4 U 184/12
250.000 € Schmerzensgeld
Eine Querschnittslähmung bei einem 15-jährigen Jugendlichen kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 € und eine Schmerzensgeldrente von monatlich 200 € rechtfertigen.
Fall:
Der 15-jährige Kläger erlitt bei einem Maifeuer durch einen umstürzenden Mittelstamm eine Querschnittslähmung und nahm u.a. die Gemeinde wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Traditionsgemäß besorgten Jugendliche der Gemeinde das für das Maifeuer erforderliche Holz aus dem Gemeindewald und bauten die abzubrennenden Baumstämme um einen tief im Boden versenkten Baumstamm auf. Diese Aktivitäten geschahen mit Billigung und Unterstützung der Gemeinde, die dieses Handeln nach Aussage ihres Bürgermeisters gefördert hat. Indem die Jugendlichen im Jahr 2010 den Mittelstamm nicht so aufstellten, dass er nach Abbrennen der an ihn angelehnten Stämme nicht seine Standfestigkeit verlieren konnte, haben sie die entscheidenden Ursache dafür gesetzt, dass der Mittelstamm umstürzen konnte, nachdem die an ihn angelehnten Bäume abgebrannt waren.
Rechtliche Beurteilung:
Das OLG bejahte einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Gemeinde wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht:
Die beklagte Gemeinde war unter dem Gesichtspunkt des eröffneten Verkehrs verkehrssicherungspflichtig, weil das Maifeuer auf ihrem Grundstück abgebrannt wurde. Sie konnte darauf Einfluss nehmen, wie der Aufbau und Ablauf des Maifeuers erfolgte und hätte daher Maßnahmen ergreifen können (und müssen), um dafür zu sorgen, dass der Mittelstamm nicht umfällt. Da die Beklagte den Aufbau des Maifeuers durch die Jugendlichen nicht überwachte , konnte es dazu kommen, dass der Mittelstamm entweder nicht ausreichend tief in den Boden eingegraben oder dessen Durchmesser zu gering gewählt wurde, mit der Folge, dass dieser umfiel und dabei den Kläger an der linken Schulter erfasste.
Dadurch ist der Kläger schwer verletzt worden, insbesondere ist eine motorisch und sensibel komplette Paraplegie sub Th 4 eingetreten.
Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 250.000 € wurde als angemessen betrachtet
Zur Kompensation der mit einer Querschnittslähmung verbundenen körperlichen Beeinträchtigungen wird eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 250.000 € – wie vom Kläger gefordert – als angemessen bewertet. Angemessen ist auch eine daneben zu leistende Rentenzahlung, wie ebenfalls vom Kläger verlangt, deren Umfang von 200 € den vermehrten Bedürfnissen unter den gegebenen Umständen entspricht.
Wegen seines Mitverschuldens an dem Schadenseintritt muss sich der Kläger jedoch einen Mitverschuldensanteil von 50 % gemäß § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, was bei den von ihm geltend gemachten Ansprüchen entsprechend zu berücksichtigen ist. Der Kläger verletzte die ihm obliegende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, indem er nicht genügend Abstand von dem Mittelstamm hielt. Dass ein angekokelter Stamm umfallen kann, ist Allgemeinwissen. Selbst wenn sich der Kläger darüber Gedanken gemacht hätte, dass der Stamm tief im Erdreich eingegraben war, musste er davon ausgehen, dass der Aufbau des Maifeuers nicht durch Statiker erfolgt sein dürfte und dadurch, dass der Stamm lange dem Brand der um ihn herum angelehnten weiteren Baumstämme ausgesetzt war, dessen Standfestigkeit gelitten haben könnte.
Das Mitverschulden des Klägers führt dazu, dass die Beklagte an den Kläger 125.000 € Schmerzensgeld sowie eine Rente von monatlich 100 € zu zahlen hat. Weiter ist die Haftung der Beklagten für den materiellen und immateriellen Zukunftsschaden auf 50 % zu beschränken.