BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334
100.000 € Teilschmerzensgeld
Zur Frage der Zulässigkeit einer Teilklage im Schmerzensgeldprozess.
Fall:
(Der Fall ist aus didaktischen Gründen abgewandelt. Im entschiedenen Fall bestand die Gefahr, dass es beim Kläger zu einer Humeruskopfnekrose kommen konnte, die eine erneute operative Versorgung und höchstwahrscheinlich eine Schulterprothese erfordern konnte. Auch das Schmerzensgeld war niedriger.)
Forderung der Zahlung eines Teilbetrags für bereits eingetretene Verletzungsfolgen nach Motorradunfall
Der Kläger nahm den Beklagten wegen der Folgen eines schweren Motorradunfalls auf Zahlung eines Teilbetrages von 100.000 € des ihm zustehenden Schmerzensgeldes in Anspruch. Er begehrte außerdem die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, materiellen Zukunftsschaden zu ersetzen. Nach den ärztlichen Gutachten bestand die Gefahr, dass das operierte Bein des Klägers doch noch amputiert werden musste, sicher war dies allerdings nicht. Deshalb beschränkte sich die Schmerzensgeldklage auf die bereits eingetretenen Verletzungsfolgen.
Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung als unzulässig abgewiesen.
Dagegen wandte sich der Kläger mit der zugelassenen Revision.
Rechtliche Beurteilung:
Zutreffend war der Ansatz des Berufungsgerichts, dass es der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Das wurde vom Berufungsgericht im Grundsatz nicht verkannt. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrat es die Auffassung, dass mit dem auf eine unbeschränkte Klage insgesamt zuzuerkennenden Schmerzensgeld nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv vorhersehbaren künftigen unfallbedingten Verletzungsfolgen abgegolten werden.
100.000 € Teilschmerzensgeld
Nach den ärztlichen Bescheinigungen bestand die Gefahr, dass das operierte Bein des Klägers doch noch amputiert werden musste. Somit ließ sich eine Aussage darüber, ob und in welchem Umfang in der Zukunft noch Spätfolgen der Unfallverletzungen auftreten konnten, zum damaligen Zeitpunkt nicht treffen. Es bestand jedenfalls die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts.
Bereits das Reichsgericht hat es für zulässig erachtet, den Betrag des Schmerzensgeldes zuzusprechen, der dem Verletzten zum Zeitpunkt der Entscheidung mindestens zusteht, und später den zuzuerkennenden Betrag auf die volle abzuschätzende Summe erhöht, die der Verletzte aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der für den immateriellen Schaden maßgeblichen Umstände beanspruchen kann, wenn sich nicht endgültig sagen lässt, welche Änderungen des gesundheitlichen Zustandes noch eintreten können.
Dieser Rechtsauffassung hat sich der BGH angeschlossen. So hat er für den Fall, dass mit dem Eintritt weiterer Schäden zu rechnen ist, die letztlich noch nicht absehbar sind, das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für die Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger immaterieller Schäden bejaht, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen. Auch im Falle eines solchen Feststellungsantrages bleibt offen, wie hoch der Schmerzensgeldanspruch letztendlich sein wird. Der zu zahlende Betrag wird nach den gegenwärtigen Umständen und unter Außerachtlassung der noch nicht absehbaren Folgen in gewisser Weise vorläufig als Teilbetrag festgesetzt.
Gegen die Zulässigkeit einer Teilklage, wie sie hier vorlag, bestanden keine rechtlichen Bedenken.
Da die Schmerzensgeldforderung auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet ist, ist sie grundsätzlich teilbar. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt. Ob ein einheitlicher Anspruch im rechtlichen Sinne teilbar ist, hängt davon ab, ob er quantitativ abgrenzbar und eindeutig individualisierbar ist und in welchem Umfang über ihn Streit bestehen kann, ohne dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht. Ist die Höhe des Anspruchs im Streit, kann grundsätzlich ein ziffernmäßig oder sonstwie individualisierter Teil davon Gegenstand einer Teilklage sein, sofern erkennbar ist, um welchen Teil des Gesamtanspruchs es sich handelt.
Macht der Kläger – wie im vorliegenden Fall – nach diesen Grundsätzen nur einen Teilbetrag eines Schmerzensgeldes geltend und verlangt er bei der Bemessung der Anspruchshöhe nur die Berücksichtigung der Verletzungsfolgen, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind, ist eine hinreichende Individualisierbarkeit gewährleistet.
Von der offenen Teilklage sind allerdings die Fallgestaltungen zu unterscheiden, für die gewöhnlich der Begriff des Teilschmerzensgeldes gebraucht wird und für die sich die Frage stellt, ob über den Schmerzensgeldanspruch bereits in einem früheren Verfahren rechtskräftig abschließend entschieden worden ist. Wird für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld verlangt, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte. Nicht erfasst werden solche Verletzungsfolgen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, d.h. mit denen nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war. Dem Geschädigten muss auch in einem solchen Fall für den bisher überschaubaren Zeitraum ein Schmerzensgeld zugesprochen werden, so dass das bereits früher zuerkannte Schmerzensgeld sich gegenüber einer durch die spätere Entwicklung bedingten weiteren Schmerzensgeldforderung als Teilschmerzensgeld darstellt. In einem solchen Fall kann der Geschädigte weitere Ansprüche nur geltend machen, wenn später Schäden auftreten, die vom Streit- und Entscheidungsgegenstand des vorausgegangenen Schmerzensgeldprozesses nicht erfasst wurden und deren Geltendmachung daher dessen Rechtskraft nicht entgegensteht.